Rund vier Jahre nach dem Abzug der US-Truppen aus Afghanistan mehren sich die Hinweise, dass hunderttausende US-Waffen, die 2021 in die Hände der Taliban gelangten, inzwischen verschwunden, verkauft oder an Terrorgruppen weitergegeben wurden. Das geht aus Informationen hervor, die der BBC von UN-Quellen und ehemaligen afghanischen Beamten zugespielt wurden.
Umfangreiche Waffenbestände verloren
Als die Taliban im August 2021 die Kontrolle über Afghanistan übernahmen, fielen ihnen laut Quellen rund eine Million Waffen und militärische Ausrüstungsteile in die Hände – viele davon finanziert und geliefert von den USA.
- Darunter: M4- und M16-Sturmgewehre, gepanzerte Humvees, MRAPs sowie Black-Hawk-Helikopter.
- Laut Angaben aus einer internen Sitzung des UN-Sanktionsausschusses in Doha soll mindestens die Hälfte dieses Bestands mittlerweile nicht mehr auffindbar sein.
Waffen auf dem Schwarzmarkt und bei Terrorgruppen
Laut einem UN-Bericht vom Februar 2025 wurden viele dieser Waffen entweder illegal weiterverkauft oder sind in die Hände militanter Gruppen gelangt, darunter:
- Tehreek-e-Taliban Pakistan (TTP)
- Islamische Bewegung Usbekistans
- Ostturkestanische Islamische Bewegung
- Ansarullah (Jemen) – ein mit den Huthi-Rebellen assoziiertes Netzwerk
Diese Gruppen, viele davon mit Verbindungen zu al-Qaida, nutzen die Waffen für ihre eigenen Zwecke – vom Machtaufbau bis zur Durchführung von Anschlägen.
Taliban bestreiten Verluste
Die Taliban-Regierung weist alle Vorwürfe entschieden zurück. Ein Sprecher erklärte gegenüber der BBC, man nehme die Lagerung und Sicherung von Waffen „sehr ernst“ und dementiere jegliche Verluste oder Schmuggel.
Jedoch zeigen UN-Berichte, dass lokale Kommandeure bis zu 20 % der US-Waffen behalten durften – eine Praxis, die laut Beobachtern einen florierenden Schwarzmarkt ermöglicht habe. In Regionen wie Kandahar sei der Waffenhandel laut BBC-Quellen inzwischen über verschlüsselte Chatdienste wie WhatsApp organisiert.
Kritik an US-Tracking und Versäumnissen
Der US-Sonderinspektor für den Wiederaufbau Afghanistans (SIGAR) kritisierte in mehreren Berichten die mangelhafte Nachverfolgung der gelieferten Ausrüstung:
- Datenlücken zwischen verschiedenen Behörden
- keine einheitliche Erfassung
- Unzureichende Koordination beim Rückzug
Auch das US-Außenministerium habe laut SIGAR „unzureichende, ungenaue und verspätete Informationen“ geliefert – was vom Ministerium jedoch bestritten wird.
Trump fordert Rückgabe – Umsetzung unklar
US-Präsident Donald Trump hat öffentlich erklärt, er wolle die in Afghanistan verbliebenen Waffen zurückholen – notfalls auch durch Zahlung. Er bezifferte den „verlorenen Wert“ auf 85 Milliarden Dollar. Experten halten diesen Betrag für überzogen, da er auch Ausbildung und Soldzahlungen umfasst.
Der frühere SIGAR-Chef John Sopko bezeichnete eine Rückführung der Waffen als wirtschaftlich unsinnig – der Aufwand übersteige den Nutzen.
Militärische Konsequenzen
Die Taliban haben ihre militärische Stärke deutlich ausgebaut:
- US-Waffen werden regelmäßig bei Paraden zur Schau gestellt – z. B. auf dem früheren US-Stützpunkt Bagram.
- Kleinwaffen und Fahrzeuge wie Humvees werden aktiv genutzt.
- Komplexere Systeme wie Black-Hawk-Helikopter bleiben jedoch aufgrund fehlender Ausbildung weitgehend unbrauchbar.
Die Waffenbestände stärken die Taliban im Kampf gegen Rivalen wie den Nationalen Widerstand (NRF) oder den Islamischen Staat in der Provinz Khorasan (ISKP).
Fazit
Die unkontrollierte Verbreitung von US-Waffen aus Afghanistan stellt eine ernsthafte Gefahr für die regionale Sicherheit und Stabilität dar. Die internationalen Bemühungen zur Eindämmung der Weitergabe an Terrorgruppen laufen bislang ins Leere. Ob die USA unter Präsident Trump tatsächlich versuchen werden, Waffen zurückzuholen, ist offen – doch die Zeit arbeitet gegen eine wirksame Rückverfolgung.