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Das Thema Lebensversicherungen aus der Sicht der BaFin

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Seit knapp zehn Jahren beschäftigt sich die deutsche Versicherungswirtschaft mit dem Thema Run-Off – zunächst die Rückversicherer, dann auch die Schaden- und Unfallversicherer. Heute ist Run-Off auch für die wichtigste deutsche Versicherungsparte relevant, die Lebensversicherung. Sieben der gut 90 Lebensversicherungsunternehmen, die die BaFin beaufsichtigt, haben inzwischen angekündigt, kein oder kein nennenswertes Neugeschäft mehr zeichnen zu wollen. Die negative Reaktion der Öffentlichkeit darauf zeigt, dass Run-Off in Deutschland weiterhin als Versagen von Versicherern gilt. Selten wird es als bewusste Unternehmensentscheidung wahrgenommen.

Definition: Run-Off

Der Begriff Run-Off bezeichnet unterschiedliche, verwandte Szenarien der Abwicklung von Teil- oder Gesamtbeständen von Versicherungsunternehmen. Über die Aufgabe der Zeichnungsaktivität eines Versicherers in bestimmten Geschäftsfeldern oder Regionen hinaus umfasst der Begriff Run-Off ein aktives Element: Der Versicherer bemüht sich, die jeweiligen Geschäftsaktivitäten möglichst ertragreich – oder wenigstens verlustarm – zu beenden. Dazu kann er auch mit Externen zusammenarbeiten. Das Spektrum reicht hier von der Beratung über die Auslagerung von Tätigkeiten bis hin zur Abspaltung von Betriebsteilen, Bestandsübertragungen und, sofern sich der Run-Off auf den gesamten Bestand eines Unternehmens bezieht, dem Verkauf des Unternehmens.

Run-Off im Aufsichtsrecht

Im deutschen Aufsichtsrecht gibt es keine Definition von Run-Off. Es kennt den sehr viel engeren Tatbestand der Beendigung des Geschäftsbetriebs (§ 86 Versicherungsaufsichtsgesetz – VAG). Demnach endet der Geschäftsbetrieb durch freiwillige Einstellung (Rückgabe der Erlaubnis) oder das Eingreifen der BaFin (Widerruf der Erlaubnis oder Untersagung des Geschäftsbetriebs). Im Normalfall gehen die Unternahmen in Liquidation. Sie dürfen dann weder neue Versicherungsverträge abschließen noch bestehende Verträge verlängern oder die Versicherungssumme erhöhen. Die bestehenden Verträge werden jedoch weiter abgewickelt, also fortgeführt, bis der Vertrag endet. Dies kann in der Lebens- und Krankenversicherung mehrere Jahrzehnte dauern. In sehr seltenen Fällen meldet die Aufsichtsbehörde die Insolvenz des Versicherers an; nur dann enden bestehende Verträge vorzeitig. Die Beendigung des Geschäftsbetriebs, und mehr noch die Insolvenz, sind derzeit jedoch Randthemen: Keines der Versicherungsunternehmen, über die in den letzten Jahren öffentlich diskutiert wurde, war oder ist in einer solchen Lage.

Alle anderen Run-Off Fälle beruhen auf einer unternehmerischen Entscheidung. Für sie gelten, wie auch für Unternehmen in Liquidation, die gleichen aufsichtsrechtlichen Vorschriften wie für alle anderen Versicherer. Dies trifft auch auf Versicherungsunternehmen zu, deren ausschließlicher Geschäftszweck es ist, geschlossene Bestände zu übernehmen und abzuwickeln.

Es gibt jedoch zwei Ausnahmen. Die erste betrifft die Einführung des europäischen Aufsichtsregimes Solvency II: Nach der Einigung über die Omnibus-II-Richtlinie gelten die neuen Bestimmungen weitgehend nicht für Unternehmen, die ab 2016 kein Neugeschäft mehr abschließen und ihre Aktivitäten innerhalb von drei Jahren beenden wollen. Dass Lebens- und Krankenversicherer von der Ausnahme Gebrauch machen könnten, dürfte jedoch ausgeschlossen sein, da sie die schnelle Abwicklung der Bestände voraussetzt. Die zweite Ausnahme stellte der Bestandsschutz für Rückversicherungsunternehmen dar, die im Rahmen der Umsetzung der Rückversicherungsrichtlinie ab 2014 in den Run-Off gegangen sind. Für sie galten nur einzelne Vorschriften des VAG.1)

Folgen der Einstellung des Neugeschäfts

Die freiwillige oder erzwungene Einstellung des Neugeschäfts hat wirtschaftliche Folgen, die für die Versicherungsaufsicht relevant sind. Dies gilt auch für die Fälle in der Lebensversicherung, bei denen typischerweise noch bestimmte Verträge neu abgeschlossen oder erhöht werden, etwa bei Kollektivverträgen, Verträgen mit dynamischen Erhöhungen und bei Nachversicherungen.

Unmittelbare Folge der Einstellung des Neugeschäfts ist, dass der Bestand und die Prämieneinnahmen sinken. Dies kann – je nach Sparte und Umfang des betroffenen Bestandes – rasch oder langsam und kontinuierlich erfolgen. Insbesondere bei einem vollständigen Run-Off kann es außerdem dazu kommen, dass die Diversifikation im Bestand sinkt, die versicherungstechnischen Ergebnisse also volatiler werden. Das kann den Ausgleich im Kollektiv langfristig gefährden. Wird ein Versicherer in der Öffentlichkeit aufgrund des Run-Offs als weniger solide wahrgenommen, besteht zudem das Risiko, dass mehr Bestandskunden kündigen, so dass Lebensversicherer eine erhöhte Liquidität benötigen.

Da Abschlussprovisionen wegfallen, wenn das Neugeschäft eingestellt wird, sinken die Kosten kurzfristig. Langfristig ist bei einem vollständigen Run-Off aufgrund der Fixkosten jedoch fraglich, ob die Kosten gedeckt werden können. Stellt ein Versicherer mit mehreren Sparten lediglich einige davon ein, können die Kosten dagegen dauerhaft sinken.

Eigenmittel

Auch auf die Eigenmittel wirkt sich die Einstellung des Neugeschäfts aus. Hier ist zwischen dem heutigen und dem künftigen Aufsichtsrecht zu unterscheiden, Solvency I und Solvency II. Schaden- und Unfall- sowie Krankenversicherer wickeln nur noch Schadenrückstellungen ab, wenn die Prämienzahlungen auslaufen. Damit ist unter Solvency I der Beitragsindex 0 und der Schadenindex sogar negativ. Nach § 1 Absatz 6 der Kapitalausstattungs-Verordnung (KapAusstV) fällt die Eigenmittelanforderung trotzdem nicht schlagartig, sondern sinkt im Wesentlichen so schnell wie die Schadenrückstellung im Vorjahr. Bei den Lebensversicherern werden unter Solvency I tendenziell die Risiken in den Solvabilitätsvorschriften nicht berücksichtigt, die im Run-Off zunehmen. An erster Stelle steht hier das Stornorisiko.

Unter Solvency II werden sich die Eigenmittelanforderungen für die einzelnen Geschäftsfelder stärker unterscheiden. Daher wird es tendenziell mehr Geschäftsfelder geben, die sich nicht lohnen. Bei der Schaden- und Unfallversicherung wird die Versicherungstechnik vom Reserverisiko beherrscht, wenn die Prämienzahlungen auslaufen. Bei vollständigen Run-Offs sinken die Diversifikationseffekte tendenziell.

Veränderte Anreize

Da die aufgegebenen Geschäftsfelder aus Sicht des Versicherers beziehungsweise der Versicherungsgruppe nicht mehr interessant erscheinen, steigt der Anreiz zu Bestandsübertragungen und Unternehmensverkäufen. Auch der Anreiz, Funktionen auszulagern, um den Verwaltungsapparat parallel zum Bestand abzubauen, nimmt zu. Zudem kann die Qualität des Kundenservice nachlassen, da die Zufriedenheit der Kunden für ein Unternehmen ohne Neugeschäft meist eine geringere Rolle spielt. Gleichzeitig wird das Unternehmen als Arbeitgeber eventuell uninteressant, was die Qualität der Mitarbeiter beeinträchtigen kann.

In den Sparten mit Überschussbeteiligung, also bei Lebens- und Krankenversicherungen sowie Unfallversicherungen mit Prämienrückgewähr2), ist die Höhe der Überschussbeteiligung in der Run-Off- Phase kein Wettbewerbselement mehr. Das Unternehmen hat also nur geringes Interesse daran, den Kunden einen höheren Anteil an den Überschüssen zuzuteilen, als nötig. Es greifen also nur noch die Regelungen der Mindestzuführungsverordnung (MindZV) und der Überschussverordnung (ÜbSchV) sowie die vertraglichen Pflichten. Für das Unternehmen besteht daher auch ein Anreiz, den Überschussanteil für die Versicherten „kleinzurechnen“.

Prüfungschwerpunkte der Aufsicht

Während es also kaum rechtliche Unterschiede zwischen aktiven Versicherern und Versicherern mit Run-Off-Beständen gibt, können die wirtschaftlichen Unterschiede groß sein. Aufgrund der genannten möglichen Auswirkungen muss die Aufsicht die Lage des jeweiligen Run-Off-Unternehmens genau analysieren und von Fall zu Fall entscheiden, ob und wie sie eingreift.

Ist etwa ein Verkauf geplant, wird sie kontrollieren, ob der Investor die Ziele der Aufsicht nicht gefährdet, ob das Unternehmen also weiterhin die Belange der Versicherten wahren und die Verträge dauerhaft erfüllen kann und will. Dazu prüft die BaFin unter anderem die Zuverlässigkeit, das Geschäftsmodell und die Strukturen des Investors, die ausreichend transparent sein müssen, sowie seine Fähigkeit, den Versicherer ausreichend zu kapitalisieren. Das Herkunftsland oder die Branche des Investors allein sind in der Regel nicht ausschlaggebend für die Entscheidung der BaFin. Grundsätzliche Vorbehalte gegen Run-Off-Spezialisten als Investoren hat die BaFin nicht.

Die Voraussetzungen für Bestandsübertragungen und Verschmelzungen sind in §§ 14 und 14a VAG geregelt. Als aufnehmendes Unternehmen kommt grundsätzlich jeder Versicherer in Frage, auch spezialisierte Run-Off-Versicherer. Auch hierbei muss aber sichergestellt sein, dass das Unternehmen ausreichend kapitalisiert ist, um alle Verpflichtungen erfüllen und die Belange der Versicherten wahren zu können. Die Aufsicht wird bei Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit zudem darauf achten, wie der Verlust von Vereinsrechten kompensiert wird. Auch muss gewährleistet sein, dass der Wert von Überschussbeteiligungen durch die Übertragung nicht sinkt. Aus diesem Grund wird die Aufsicht grenzüberschreitenden Übertragungen in den Sparten mit Überschussbeteiligung nicht zustimmen können, da MindZV und ÜbSchV im Ausland nicht gelten.

Der Auslagerung der Bestandsverwaltung und anderer Funktionen an spezielle Dienstleister wird die BaFin dann zustimmen, wenn zweierlei sichergestellt ist: Die Kontrolle durch die Geschäftsleitung bleibt erhalten, die Belange der Versicherten bleiben gewahrt. Was Management und Personal angeht, wird die Aufsicht grundsätzlich auch hinterfragen, ob eine verkleinerte Verwaltungsstruktur ausreicht und ob die Inhaber von Schlüsselfunktionen für ihre Position weiter geeignet sind.

Vermögensanlagen und Risikomanagement

Die Aufsicht wird sich außerdem die Vermögensanlagen des Versicherers anschauen und darauf achten, dass das Run-Off im Aktiv-Passiv-Management berücksichtigt wird. Schließlich muss bis zum Ende des Run-Offs sichergestellt sein, dass die Kapitalisierung ausreicht, um alle vereinbarten Leistungen zu erfüllen. Dies ist möglicherweise durch Solvency-I- und Solvency-II-Standards allein nicht gewährleistet. Gegebenenfalls kann die Aufsicht Kapitalaufschläge festlegen.

Unter Solvency II müssen die Unternehmen als Kernbestandteil des Risikomanagements eine unternehmenseigene Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung (Own Risk and Solvency Assessment – ORSA) durchführen. Da ein Run-Off das Risikoprofil des Unternehmens verändert, wird die BaFin prüfen, ob dies angemessen berücksichtigt ist.

In der Lebens- und Krankenversicherung sowie der Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr ist durch ausreichende handelsrechtliche Rückstellungen sicherzustellen, dass die Verwaltungskosten und stärkere Schwankungen der Risikoergebnisse die Risikotragfähigkeit nicht gefährden. In diesem Zusammenhang ist auch zu prüfen, ob die Rückversicherung anzupassen ist. In der Lebensversicherung ist aufgrund des möglicherweise erhöhten Stornorisikos dem Liquiditätsmanagement besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Bei Verträgen mit Überschussbeteiligung wird die BaFin besonders darauf achten, dass diese nicht ausgehöhlt wird. Die Gewinnzerlegungen sowie die aktuariellen Unterlagen werden daher besonders sorgfältig geprüft.

Geht der Bestand immer mehr zurück, ist zu prüfen, ob eine Bestandsübertragung sinnvoll ist, etwa auf spezielle Run-Off-Versicherer. In der Lebens- und Krankenversicherung stehen als letztes Mittel die Sicherungseinrichtungen Protektor beziehungsweise Medicator zur Verfügung.

Rolle von Run-Off-Spezialisten

Run-Off-Spezialisten können als Investoren, aufnehmende Versicherungsunternehmen oder Dienstleister agieren. Sie schaffen daher zusätzliche Möglichkeiten für Versicherungsunternehmen, ihre Strategie zu ändern oder auf schwierige wirtschaftliche Situationen zu reagieren. Sie können daher, wenn alle Regeln eingehalten werden, in solchen Fällen eine positive Rolle spielen.

 

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