Start Justiz Niederlage in Sachen Porsche Automobil Holding SE vor dem OLG Celle

Niederlage in Sachen Porsche Automobil Holding SE vor dem OLG Celle

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BGH | © WilliamCho / Pixabay

Oberlandesgericht Celle

Beschluss

13 Kap 1/16
18 OH 2/16 Landgericht Hannover

In dem Musterverfahren

ARFB Anlegerschutz UG (haftungsbeschränkt), vertreten durch den Geschäftsführer Ralf Kathmann, Steinhäuser Straße 20, 76135 Karlsruhe,

Musterklägerin,

Prozessbevollmächtigte:
TILP Litigation Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Einhornstraße 21,
72138 Kirchentellinsfurt,
Geschäftszeichen: 900001/14 TI/ZwU

gegen

1. Porsche Automobil Holding SE, vertreten durch den Vorstand Prof. Dr. Winterkorn, P.A.E. von Hagen u. a., Porscheplatz 1, 70435 Stuttgart,

2. Volkswagen AG vertreten durch den Vorstand, Berliner Ring 2, 38440 Wolfsburg,

Musterbeklagte,

Prozessbevollmächtigte zu 1:
Rechtsanwälte Hengeler Müller, Bockenheimer Landstraße 24, 60323 Frankfurt,
Geschäftszeichen: 66825785v2; 68238117 vl; 628110206 vl

Prozessbevollmächtigte zu 2:
Anwaltsbüro Göhmann, Ottmerstraße 1 – 2, 38102 Braunschweig,
Geschäftszeichen: 01907-11 BE/SW

hat der 1. Kartellsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Rebell sowie die Richterinnen am Oberlandesgericht Fiala und Flesch am 13. Juli 2020 beschlossen:

Das Ablehnungsgesuch der Musterklägerin vom 23. Juni 2020 betreffend die Richter am Oberlandesgericht Dr. Derks, Dr. Landwehr und Dr. Lübbesmeyer wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Das Ablehnungsgesuch der Musterklägerin vom 23. Juni 2020 richtet sich gegen diejenigen Richter, die mit Beschluss vom 22. Juni 2020 das Ablehnungsgesuch der Musterklägerin gegen den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Schaffert, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Gerresheim und den Richter am Oberlandesgericht Krackhardt, die ihrerseits zuvor mit Beschluss vom 17. Juni 2020 das gegen den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Wiese sowie die Richterin am Oberlandesgericht Dencks, den Richter am Oberlandesgericht Keppler und den Richter am Oberlandesgericht Spamer gerichtete Ablehnungsgesuch des Beigeladenen Dr. Rall vom 15. Juni 2020 als unbegründet zurückgewiesen hatten.

Das Ablehnungsgesuch vom 17. Juni 2020 richtete sich allerdings auch (erneut) gegen den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Wiese, die Richterin am Oberlandesgericht Dencks und die Richter am Oberlandesgericht Keppler und Spamer.

Die Musterklägerin macht mit ihrem Ablehnungsgesuch vom 23. Juni 2020 insbesondere geltend, dass die nunmehr abgelehnten Richter vorsätzlich gegen die Verpflichtung zur Einholung dienstlicher Äußerungen der im vorangehenden Ablehnungsverfahren abgelehnten Richter verstoßen hätten, denen vorgeworfen worden sei, vorsätzlich gegen das Gebot rechtlichen Gehörs verstoßen zu haben. Vorsatz sei aber eine innere Tatsache, so dass sich die damals abgelehnten Richter zu diesem Vorwurf hätten erklären müssen. Nachdem die Behandlung des Ablehnungsgesuchs des Beigeladenen in mehrerlei Hinsicht grob verfahrensfehlerhaft und willkürlich von einer dem Ablehnungsrecht fremden unziemlichen Eile geprägt gewesen sei, legten die nunmehr abgelehnten Richter dasselbe Verhaltensmuster an den Tag. Daher bestehe Anlass zu behaupten, dass es sich hier um ein kollusives Zusammenwirken der abgelehnten Richter mit den Mitgliedern des „Wiese-Senats“ handele.

II.

1. Der Senat entscheidet in der vorliegenden Besetzung, nachdem sämtliche Mitglieder des 1. Kartellsenats (mit Ausnahme des dem Senat nur in Verfahren nach § 83 OWiG zugewiesenen Richters am Oberlandesgericht Dr. Kreicker) und des gemäß IV. 2. des Geschäftsverteilungsplans für das Jahr 2020 in erster Linie zur Vertretung bestimmten 16. Zivilsenats sowie der Richter Dr. Landwehr und Dr. Lübbesmeyer aus dem in zweiter Linie zur Vertretung bestimmten 2. Zivilsenat als befangen abgelehnt worden sind. Über das Ablehnungsgesuch vom 17. Juni 2020 ist hinsichtlich der planmäßigen Richter des 1. Kartellsenats noch nicht entschieden worden. Als verbleibendes Mitglied des in zweiter Linie zur Vertretung befugten 2. Zivilsenats ist gemäß II. L. Nr. 3 des Geschäftsverteilungsplans Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Rebell zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch vom 23. Juni 2020 berufen. Daneben sind wegen der Erschöpfung der Vertretungsketten die Richterinnen am Oberlandesgericht Fiala und Flesch gemäß II. L. 4 als dienstjüngste und nicht bereits abgelehnte Richterinnen heranzuziehen.

2. Das Ablehnungsgesuch der Musterklägerin vom 23. Juni 2020 ist zulässig.

Insbesondere kann entgegen der Ansicht der Musterbeklagten ein Rechtsschutzbedürfnis nicht verneint werden. Der Senat verkennt allerdings nicht, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH NJW-RR 2018, 1461 mwN) nach vollständigem Abschluss einer Instanz ein Ablehnungsgesuch grundsätzlich nicht mehr zulässig ist, weil die beteiligten Richter ihre richterliche Tätigkeit im konkreten Verfahren damit beendet haben und die getroffene Entscheidung nicht mehr geändert werden kann.

Ob diese Rechtsprechung auch auf den hier vorliegenden Fall übertragen werden kann, dass durch die abgelehnten Richter durch rechtskräftigen Beschluss in dem Nebenverfahren der Richterablehnung entschieden worden ist, während das Hauptsachverfahren noch andauert (so OLG Frankfurt – 4 W 22/16 – Beschluss vom 15. Juni 2016 Ziff. II. 1, zitiert nach juris), bedarf keiner Entscheidung.
Ein Ablehnungsgesuch ist nämlich nicht erledigt, solange eine zulässige Anhörungsrüge gegen seine Zurückweisung nicht beschieden ist (vgl. BGH NJW-RR 2011, 427). In diesem Fall kommt nämlich eine weitere Befassung der abgelehnten Richter in dem von ihnen geführten Nebenverfahren gemäß § 321 a ZPO in Betracht. Allerdings steht eine offene Frist für die Erhebung einer Anhörungsrüge der Erledigung des Ablehnungsgesuchs nicht entgegen (vgl. BGH – AnwZ(B) 13/10 – Beschluss vom 7. März 2012, zitiert nach juris).

Im vorliegenden Fall liegt indes die Auslegung nahe, dass mit dem Ablehnungsgesuch vom 23.Juni 2020 trotz der fehlenden entsprechenden Bezeichnung zugleich eine Anhörungsrüge erhoben werden sollte. Die Musterklägerin beanstandet, dass die abgelehnten Richter nicht berücksichtigt hätten, dass für die von ihnen explizit aufgestellte Behauptung der inneren Tatsache, die Richter Schaffert, Krackhardt und Dr. Gerresheim hätten das rechtliche Gehör des Beigeladenen Dr. Rall vorsätzlich verletzt, die Einholung dienstlicher Äußerungen zwingend erfordere. Da das Begehren auf Einholung einer dienstlichen Äußerung darauf abzielt, dem Antragsteller im Ablehnungsverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen, ist die von der Musterklägerin erhobene Rüge auf den Vorwurf der Perpetuierung der inkriminierten Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die von Dr. Rall abgelehnten Richter in dem Verfahren der nunmehr abgelehnten Richter gerichtet, denen ausdrücklich dasselbe Verhaltensmuster vorgeworfen wird. Nach alledem ist nicht auszuschließen, dass die abgelehnten Richter in dem Nebenverfahren über das Befangenheitsgesuch vom 17. Juni 2020 noch weiter befasst werden.

3. Den Beteiligten ist im vorliegenden Ablehnungsverfahren rechtliches Gehör gewährt worden. Insbesondere sind ihnen die dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter rechtzeitig vor der Entscheidung zur Kenntnis gebracht worden. Die Musterklägerin hat dazu mit Schriftsatz vom 9. Juli 2020, auf den wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, Stellung genommen und insbesondere geltend gemacht: Auf Grund der graduellen Unterschiede in den von den abgelehnten Richtern abgegebenen dienstlichen Stellungnahmen und insbesondere aus der von Dr. Landwehr vorgenommenen rein subjektivwertenden Aussage müsse weiterhin davon ausgegangen werden, dass es zumindest hinsichtlich des Timings der Beschlussfassung und Verkündung zu einem kommunikativen Austausch zwischen Dr. Landwehr und/oder Dr. Derks und Mitgliedern des 1. Kartellsenats und/oder dessen 1. Vertretersenat gekommen sei. Danach sei zumindest die Einvernahme der abgelehnten Richter als Zeugen geboten.

Die Musterbeklagten hat mit Schriftsatz vom 10. Juli 2020, auf den wegen des weiteren Inhalts Bezug genommen wird, die Auffassung vertreten, die Musterklägerin handele mit ihren Kettenablehnungsgesuchen rechtsmissbräuchlich. Das Ablehnungsgesuch sei unzulässig, zumindest aber unbegründet.

4. Das Ablehnungsgesuch gegen die Richter am Oberlandesgericht Dr. Derks, Dr. Landwehr und Dr. Lübbesmeyer ist jedoch in der Sache nicht begründet.

Zwar kann die grobe Verletzung von Verfahrensgrundsätzen, insbesondere des Anspruchs auf rechtliches Gehör und auf ein faires willkürfreies Verfahren bei der betroffenen Partei den Eindruck einer sachwidrigen auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung hervorrufen.

Entgegen der Auffassung der Musterklägerin sind den abgelehnten Richtern bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch vom 17. Juni 2020 jedoch keine derart groben Verfahrensfehler unterlaufen, dass aus der Sicht einer verständigen Partei der Eindruck einer willkürlichen oder sachfremden Entscheidung erweckt wird.

Der gegen die abgelehnten Richter erhobene Vorwurf kollusiven Zusammenwirkens mit den Richtern des „Wiese-Senats“ ist nicht gerechtfertigt.

Unter Berücksichtigung der von der Musterklägerin im Ablehnungsgesuch gegen die Verfahrensweise der abgelehnten Richter vorgebrachten Rügen und des Inhalts der von diesen Richtern abgebeben dienstlichen Äußerungen lässt sich der erhobene Vorwurf nicht mit der für die erforderliche Glaubhaftmachung überwiegenden Wahrscheinlichkeit feststellen.

Sämtliche abgelehnten Richter haben ein kollusives Verhalten zum Nachteil der Musterklägerin in Abrede genommen. Die graduellen Unterschiede in den dienstlichen Äußerungen, namentlich in Bezug auf deren Ausführlichkeit, sprechen gerade gegen die Annahme, dass sich die abgelehnten Richter mit weiteren Mitgliedern des
1. Kartellsenats oder deren Vertretern abgesprochen hätten. Entgegen der Auffassung der Musterklägerin lässt der Umstand, dass nur der abgelehnte Richter am Oberlandesgericht Dr. Lübbesmeyer erklärt habe, keinen Kontakt mit Mitgliedern des 1. Kartellsenats oder des 1. Vertretersenats gehabt zu haben, während die beiden weiteren abgelehnten Richter lediglich Absprachen im Sinne eines kollusiven Zusammenwirkens in Abrede genommen hätten, nicht die Schlussfolgerung zu, dass es hinsichtlich des Timings der Beschlussfassung und Verkündung zu einem kommunikativen Austausch zwischen Richter am Oberlandesgericht Dr. Landwehr und/oder Richter am Oberlandesgericht Dr. Derks und Mitgliedern oder Vertretern des 1. Kartellsenats gekommen sei. Die Musterklägerin verkennt, dass die Richter am Oberlandesgericht Dr. Landwehr und Dr. Derks mit ihren dienstlichen Stellungnahmen gerade zu dem im Ablehnungsgesuch erhobenen zentralen Vorwurf kollusiven Zusammenwirkens Stellung genommen haben. Zu weitergehenden Erklärungen bestand vor diesem Hintergrund objektiv keine Veranlassung. Die Mutmaßungen der Musterklägerin zu einem kommunikativen Austausch zwischen den beiden vorgenannten Richtern und Mitgliedern des 1. Kartellsenats hinsichtlich des Timings der Beschlussfassung und Verkündung stellen sich daher als bloße Erklärungen ins Blaue hinein dar, die eine Vernehmung der abgelehnten Richter als Zeugen nicht rechtfertigen.

Die Tatsache, dass die abgelehnten Richter keine dienstlichen Äußerungen der Richter Schaffert, Dr. Gerresheim und Krackhardt eingeholt haben, beruhte nicht auf Willkür, sondern auf rechtlichen Erwägungen und belegt eine Benachteiligungsabsicht gerade nicht. Die abgelehnten Richter haben nicht etwa in dem Bewusstsein der Notwendigkeit der Einholung dienstlicher Äußerungen davon abgesehen, die vorgenannten Richter zur Abgabe dienstlicher Äußerungen zu veranlassen. Vielmehr haben sie unter Berufung auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Entbehrlichkeit dienstlicher Stellungnahmen der abgelehnten Richter in Fällen, in denen sich die geltend gemachten Ablehnungsgründe auf aktenkundige Vorgänge beziehen, von der Einholung dienstlicher Äußerungen der damals abgelehnten Richter abgesehen. Selbst wenn mit Rücksicht auf den geltend gemachten vorsätzlichen Verstoß gegen die Gewährung rechtlichen Gehörs für sämtliche Verfahrensbeteiligte die Einschätzung der abgelehnten Richter nicht zutreffen sollte, dass die Ablehnungsgründe sich (vollständig) auf aktenkundige Vorgänge beziehen, läge kein so schwerwiegender Verfahrensfehler vor, dass daraus auf die fehlende Unvoreingenommenheit der abgelehnten Richter geschlossen werden könnte.
Hinzu kommt, dass die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs vom 17. Juni 2020 auch auf der die Entscheidung selbständig tragenden einleitenden Erwägung beruht, dass der Vorwurf der Musterklägerin an ein Verhalten der Richter in einem formell rechtskräftig abgeschlossenen Ablehnungsverfahren anknüpft, welches nicht auf Antrag der Musterklägerin, sondern auf Antrag eines anderen Beteiligten durchgeführt worden sei und dass die damalige Entscheidung, welche die Musterklägerin auch nicht beschwere, nicht mehr von den abgelehnten Richtern geändert werden könne,

Vor diesem Hintergrund ist der Befangenheitsantrag auch nicht wegen des Vorwurfs unziemlicher Eile gerechtfertigt. Es ist nämlich nicht zu beanstanden, dass die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch in Anbetracht der von den abgelehnten Richtern bejahten Entscheidungsreife noch vor dem (damals noch auf den 24. Juni 2020) anberaumten Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung getroffen worden ist, nachdem das Hauptsacheverfahren in der Vergangenheit bereits durch eine Vielzahl rechtskräftig als unbegründet zurückgewiesener Befangenheitsanträge objektiv verzögert worden war.

III.

Gründe, welche die Zulassung der Rechtsbeschwerde rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.

Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst, weil das Ablehnungsverfahren für die Prozessbevollmächtigten zum Rechtszug gehört und gerichtliche Gebühren nicht entstanden sind.

 

Rebell Fiala Flesch

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