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Interview zu Genossenschaften und dem Fall CO.NET Verbrauchergenossenschaft eG mit Fachanwalt Daniel Blazek

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Redaktion: Herr Blazek, Sie sind Fachanwalt für Gesellschaftsrecht und kennen sich im Genossenschaftsrecht aus. Unter anderem sind Sie im Zusammenhang mit einer insolventen großen Wohnungsgenossenschaft tätig. Sie haben vor Jahren schon einen Beitrag über Anleger-Genossenschaften geschrieben. Was ist das Besondere am Genossenschaftsrecht?

Blazek: Die eingetragene Genossenschaft ist ein durch das Genossenschaftsgesetz (GenG) geregelter, zweckgebundener, förderwirtschaftlicher Sonderverein. Wichtige genossenschaftliche Grundsätze sind u.a. diejenigen der Selbsthilfe, Selbstverwaltung (Selbstorganschaft, Selbstkontrolle) und Selbstverantwortung. Der Förderzweck der Genossenschaft zielt auf die persönliche Förderung der Einzelwirtschaften der Mitglieder. Das von den Mitgliedern aufzubringende oder gemeinschaftlich zu erwirtschaftende Vermögen hat dementsprechend eine zweckdienliche Funktion.

Das Genossenschaftskapital dient normalerweise nicht der Erzielung einer kapitalzinswirtschaftlichen Rendite, sondern soll förderwirtschaftliche Leistungen für die Mitglieder erwirken. Etwas anders sieht es bei sog. Anlagegenossenschaften aus. Diese weichen vom gesetzlichen Leitbild ab.

Redaktion: Was unterscheidet denn Anleger-Genossenschaften von normalen Genossenschaften?

Blazek: Der Bundesgerichtshof (BGH) spricht von „Anlagegenossenschaften“, wenn die mitgliedschaftliche Beteiligung nur ein anderer Weg der Kapitalanlage ist, mithin wenn der vorrangige Zweck des beitretenden Verbrauchers darin besteht, Gewinne und/oder Steuervorteile zu erhalten; vgl. BGH II ZR 298/08, U. v. 1. März 2011. „Anleger-Genossenschaften“ ist ein genauso guter Begriff. Es muss nicht der ausschließliche Zweck sein, es reicht, wenn es der vorrangige Zweck ist.

Redaktion: Was ist dabei entscheidend? Der in der Satzung formulierte Zweck?

Blazek: Das ist ein wichtiger Aspekt. Letztlich zählt meiner Ansicht nach aber eine wirtschaftliche Betrachtungsweise. Diesen Standpunkt hat der BGH zum Beispiel in bei bestimmten Kapitalanlagen im Versicherungsmantel oder bei einer Eigentumswohnung als Kapitalanlage eingenommen; vgl. BGH IV ZR 164/11, U. v. 11. Juli 2012; BGH IV ZR 437/15, U. v. 5. April 2017 (für eine fondsgebundene Lebensversicherung); BGH III ZR 308/15, U. v. 23. Juni 2015 (Eigentumswohnung).

Redaktion: Das heißt, alles oder vieles kann theoretisch eine Kapitalanlage sein?

Blazek: Ja. Unternehmensbeteiligungen, Wertpapiere, Container, Lebensversicherungen, Immobilien, Edelmetalle, Container, Licht- oder PC-Anlagen, Oldtimer, Kunst, Krypto-Währungen zum Beispiel – und eben auch Genossenschaftsbeteiligungen bzw. entsprechend ausgestaltete Genossenschaftszwecke. Es gibt keine abschließende, gewissermaßen allgemeingültige Bestimmung dessen, was ein „Kapitalanlagegeschäft“ ausmacht. Für eine „Kapitalanlage“ gibt es weder eine einheitliche gesetzliche Definition, noch hat sich ein für alle Rechtsgebiete gleichermaßen geltendes Begriffsverständnis herausgebildet; vgl. BGH IV ZR 59/18, U. v. 10. April 2019, Gründe II. 3. b). Schauen Sie sich nur an, wie sich die gesetzliche Definition der Vermögensanlagen seit der Einführung des VermAnlG verändert hat. Und grenzen Sie einmal Vermögensanlagen von Wertpapieren oder Investmentvermögen oder Bankgeschäften ab.

Redaktion: Was gilt denn, wenn Genossenschaften als Anlagegenossenschaften zu qualifizieren sind?

Blazek: So einiges. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Beim Beitritt zu Anlagegenossenschaften muss der Verbraucher korrekt über sein Widerrufsrecht belehrt werden, falls Anbahnung und/oder Vertragserklärung in einer Haustürsituation bzw. außerhalb von Geschäftsräumen erfolgten. Geschah dies nicht, so können die Anleger jederzeit widerrufen. Für den Vertrieb gelten die üblichen vorvertraglichen Aufklärungspflichten und besteht ein Schadensersatzanspruch bei kausalen Pflichtverletzungen. Falls die jeweilige Beteiligung an einer Genossenschaft unter das Vermögensanlagengesetz fällt, dann ist für den Vertrieb ein BaFin-gestatteter Verkaufsprospekt erforderlich sowie eine Erlaubnis nach § 34f GewO des einzelnen Anlagevermittlers oder Anlageberaters.

Redaktion: Sind Ihrer Ansicht nach viele Anlagegenossenschaften am Markt diesbezüglich gut aufgestellt?

Blazek: Das kann ich schwerlich pauschal sagen. Ich will es einmal so ausdrücken: Bei einigen Kandidaten besteht erheblicher Nachhilfe-Bedarf. Meiner Ansicht nach liegt dies daran, dass Anleger-Genossenschaften kurz vor dem Boom der Sachwertinvestments – und anfänglich noch zeitgleich mit ihnen – wie Pilze aus dem Boden schossen, gerade um Prospektpflichten und gesetzlich angebahnte Vertriebsvoraussetzungen zu umgehen.

Redaktion: Und was gibt es sonst noch für Besonderheiten im Genossenschaftsrecht?

Blazek: Eine ganze Menge! Die kann ich hier nicht sämtlich darstellen. Aber ich kann zum Beispiel darauf hinweisen, dass es ein eigenes Genossenschaftsgesetz (GenG) mit zum Teil empfindlichen Sonderregelungen gibt, etwa die (per Satzung abdingbare) Nachschusspflicht zur Insolvenzmasse des § 105 GenG, die Kapitalschutzvorschriften des § 22 Abs. 4 und 5 GenG oder die Vorschrift des § 15b Abs. 2 GenG. Wenn diesbezüglich die Satzung nicht richtig formuliert ist, können Stundungsabreden nichtig sein. Für den Fall, dass die Genossen dachten, ihre teils erheblichen Einzahlungsverpflichtungen nur ratenweise zu schulden, kann dies empfindlich nach hinten losgehen. Und – nicht zu vergessen – finden die Grundsätze zur fehlerhaften Gesellschaft im Genossenschaftsrecht Anwendung; sie wurden sogar seinerzeit in Anbetracht von Genossenschaften entwickelt.

Redaktion: Was besagen diese Grundsätze?

Blazek: Auch das ist ein spezielles, fest etabliertes Feld der Rechtsanwendung im Gesellschaftsrecht. Prinzipiell bedeuten sie, dass ein Genosse sich im Fall eines fehlerhaften oder nichtigen Beitritts oder aufgrund Widerrufs oder infolge einer außerordentlichen Kündigung nicht auf eine Rückabwicklung berufen kann (im Wege des Schadensersatzes oder aufgrund eines Rückabwicklungsschuldverhältnisses), sondern er sich nur für die Zukunft von der Genossenschaft lösen kann (ex nunc). Bis dahin wird seine Mitgliedschaft als wirksam behandelt, mit allen Rechten und Pflichten. Auch das kann weh tun. Ich bin mir sicher, dass nicht viele Anleger-Genossen wissen, dass sie „ihr“ eingesetztes Geld nicht grundsätzlich zurück bekommen – auch nicht im Fall der außerordentlichen Kündigung oder arglistigen Täuschung –, sondern nur einen Auseinandersetzungsanspruch haben.

Redaktion: Was sagen Sie zur CO.NET Verbrauchergenossenschaft eG?

Blazek: Die BaFin scheint der Ansicht zu sein, dass es sich um eine Vermögensanlage handelt, und dies obwohl die Genossenschaft auf ihrer Homepage angibt, primär auf Einkaufsvorteile abzuzielen und nur sekundär auf Ausschüttungen durch Anlagen in Sachwerte.

Redaktion: Was könnte der Grund dafür sein?

Blazek: Ich bin nicht der rechtliche Berater der Genossenschaft und kenne das Verwaltungsverfahren nicht. Theoretisch und in vergleichbaren Fällen kommen mehrere Gründe in Betracht, wie die tatsächlich vorgenommene Mittelverwendung, das werbliche Gebaren beim Interessenten oder die Zahlung einer erfolgsabhängigen Vergütung für den Vertrieb. Bevor allerdings eine Untersagungsverfügung der BaFin in Bezug auf das öffentliche Angebot erfolgt, wird ein Anhörungsverfahren durchlaufen. Das Verwaltungsverfahren beginnt nicht mit der Untersagung. Diese erfolgt erst nach Anhörung und Androhung. Das dauert in der Regel Monate. Ich weiß nicht, welche Argumente dort mit welcher Qualität diskutiert wurden.

Redaktion: Womit muss die Genossenschaft jetzt rechnen?

Blazek: Hinsichtlich des weiteren öffentlichen Angebots müsste nun ein BaFin-gestatteter Prospekt her. Ob dieser und mit welchem Aufwand und Erfolg erstellt wird, bleibt abzuwarten. Womit ich allerdings rechne, ist ein Aufgreifen der Meldungen durch Anlegeranwälte. Diese werden Anlegern möglicherweise empfehlen auszusteigen oder künftige Zahlungsverpflichtungen zu vermeiden. Und natürlich ist die Einordnung als Vermögensanlage durch die BaFin ein gefundenes Fressen für Anlegeranwälte, den Vertrieb in Haftung zu nehmen (aufgrund der angeblichen Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten, da es sich ja um eine Kapitalanlage handeln soll). Dies wird spätestens dann zunehmen, wenn die vertragsreuigen Genossen merken, dass es grundsätzlich keine Rückabwicklung gibt.

Redaktion: Sie glauben, der Vertrieb wird es ausbaden müssen?

Blazek: Wie üblich. Ja. Der Vertrieb sollte sich wappnen und umsichtig organisieren.

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