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Hausärzte schlagen Alarm: Investorengetriebene Praxen gefährden patientenorientierte Versorgung

Free-Photos (CC0), Pixabay

Der Bayerische Hausärzteverband warnt mit deutlichen Worten vor einer zunehmenden Kommerzialisierung der ambulanten medizinischen Versorgung in Deutschland. Insbesondere der wachsende Einfluss von Finanzinvestoren auf Arztpraxen – vor allem im Bereich der fachärztlichen Versorgung – bereitet dem Verband große Sorgen. Verbandschef Dr. Wolfgang Ritter äußerte sich gegenüber der Augsburger Allgemeinen ungewöhnlich scharf: „In unserem Gesundheitssystem haben sich leider längst investorengesteuerte Arztpraxen etabliert, die rein gewinnorientiert Operationen vornehmen, die völlig unnötig wären.“

Wirtschaftliche Interessen statt medizinischer Ethik?

Der zentrale Vorwurf lautet: In von Investoren geführten medizinischen Einrichtungen treten zunehmend finanzielle Interessen an die Stelle ärztlicher Unabhängigkeit. Laut Ritter geht es dabei nicht mehr um das individuelle Wohl der Patientinnen und Patienten, sondern primär um Umsatz und Gewinnmargen. Besonders kritisch sieht der Hausärzteverband die Entwicklung in bestimmten Bereichen wie Augenheilkunde, Radiologie oder Zahnmedizin, wo die Margen für bestimmte Eingriffe vergleichsweise hoch sind.

„Hier droht unser aller Tod“, warnt Ritter drastisch. Damit spielt er auf die potenziell gravierenden Folgen für die Qualität und Ethik der medizinischen Versorgung an, sollten wirtschaftliche Zwänge systematisch die Therapiewahl beeinflussen.

Praxisübernahmen durch Private-Equity-Gesellschaften auf dem Vormarsch

In den vergangenen Jahren hat sich ein Trend verstärkt, bei dem vor allem private Kapitalgeber – oft sogenannte Private-Equity-Fonds – Arztpraxen oder ganze Praxisnetze aufkaufen. Diese werden anschließend nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten restrukturiert und betrieben. Die langfristige ärztliche Bindung, die viele Hausärzte als essenziell für eine gute Versorgung ansehen, droht dabei verloren zu gehen.

Laut Experten wird der Markt zunehmend durch die Aussicht auf hohe Renditen für Investoren attraktiv. In Regionen mit hoher Patientendichte werden gezielt Praxen gekauft und standardisierte Behandlungsangebote aufgebaut – oft verbunden mit aggressivem Marketing und einer hohen Zahl von Interventionen, deren medizinischer Nutzen fragwürdig sei.

Der Hausärztemangel verschärft die Lage

Hinzu kommt ein hausgemachtes Problem: Der demografische Wandel macht auch vor den Arztpraxen nicht halt. Viele Hausärztinnen und Hausärzte stehen kurz vor dem Ruhestand, doch es fehlt an jungen Nachfolgerinnen und Nachfolgern. Dies schafft Marktlücken, die kapitalkräftige Investoren gezielt nutzen. Die Folge: Wo einst inhabergeführte, lokal verwurzelte Hausarztpraxen betrieben wurden, treten heute größere, zentral geführte Versorgungszentren mit angestellten Ärzten.

Der Verband warnt, dass insbesondere die ärztliche Unabhängigkeit und das auf Dauer angelegte Vertrauensverhältnis zwischen Hausarzt und Patient darunter leiden. Zudem drohe eine strukturelle Zweiteilung: auf der einen Seite standardisierte, wirtschaftlich optimierte Medizin – auf der anderen Seite eine wohnortnahe, individuelle Hausarztversorgung, die zunehmend in Bedrängnis gerät.

Forderung nach gesetzlicher Regulierung

Der Bayerische Hausärzteverband fordert deshalb, die politische Debatte über investorengesteuerte Medizin wieder aufzunehmen. Es brauche gesetzliche Schranken, um die Einflussnahme von Kapitalgesellschaften auf medizinische Entscheidungen zu begrenzen. Im Fokus stehe dabei insbesondere die Frage, wie ärztliche Unabhängigkeit auch im Rahmen größerer Versorgungsstrukturen gewahrt bleiben könne.

Zudem spricht sich der Verband für eine Stärkung der hausärztlichen Versorgung im ländlichen Raum aus. Nur durch gezielte Förderprogramme, Entbürokratisierung und eine bessere Vergütung lasse sich langfristig sicherstellen, dass junge Ärztinnen und Ärzte bereit sind, eine Praxis zu übernehmen – und damit ein Gegengewicht zur rein wirtschaftlich ausgerichteten Medizin bilden.

Ein Aufruf zum Umdenken

Die Warnung des Bayerischen Hausärzteverbandes ist nicht neu, erhält aber durch den aktuellen Druck auf das Gesundheitswesen neue Brisanz. In einer Zeit, in der Gesundheitsleistungen zunehmend unter dem Druck von Effizienz und Kostendruck stehen, stellt sich die Frage: Wie viel wirtschaftliches Denken verträgt ein solidarisch finanziertes Gesundheitssystem, ohne seine ethische Grundlage zu verlieren?

„Wir müssen das Ruder jetzt herumreißen“, so Ritter. „Es geht um nichts Geringeres als die Zukunft einer menschlichen, am Patientenwohl orientierten Medizin.“

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