Nach zähen und mehrjährigen Verhandlungen haben sich die Mitgliedsstaaten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf einen gemeinsamen Text für ein internationales Pandemieabkommen verständigt. Dieser Schritt wird von der WHO selbst als Meilenstein für die künftige globale Gesundheitsarchitektur gewertet. Die endgültige Verabschiedung des Vertragswerks ist für die kommende Weltgesundheitsversammlung im Mai in Genf vorgesehen – ein historischer Moment in der Geschichte der globalen Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich.
Lehren aus COVID-19 als Ausgangspunkt
Das Abkommen ist eine direkte Konsequenz aus den Erfahrungen mit der COVID-19-Pandemie, die die internationalen Schwächen im Umgang mit Gesundheitskrisen schonungslos offengelegt hat. Mangelnde Koordination, verzögerter Informationsfluss, nationale Alleingänge, sowie eine ungleiche Verteilung von Impfstoffen und Medikamenten hatten die weltweite Pandemiebekämpfung erschwert – und in vielen Regionen sogar erheblich verschlechtert. Ziel des neuen Vertrags ist es nun, diese Defizite systematisch anzugehen und eine rechtlich verankerte Grundlage für künftige gemeinsame Reaktionen auf Pandemien zu schaffen.
Kerninhalte des Pandemieabkommens
Der ausgehandelte Vertrag legt großen Wert auf Transparenz, Kooperation und Solidarität. Im Zentrum stehen unter anderem folgende Eckpunkte:
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Frühwarnsysteme und Überwachung: Staaten verpflichten sich, neu auftretende Krankheitserreger umgehend zu melden und sich gegenseitig bei der Analyse potenzieller Bedrohungen zu unterstützen.
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Transparenter Austausch von Forschungsergebnissen: Wissenschaftliche Erkenntnisse, genetische Sequenzen von Viren sowie klinische Studien sollen künftig grenzüberschreitend und frei zugänglich geteilt werden. Dies soll die Entwicklung und Verfügbarkeit von Diagnostika, Impfstoffen und Therapien beschleunigen.
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Gerechte Verteilung von medizinischen Ressourcen: Um eine Wiederholung der sogenannten „Impfstoffapartheid“ während der COVID-19-Pandemie zu verhindern, soll ein fairer Zugang zu medizinischen Produkten – insbesondere in Ländern mit schwachen Gesundheitssystemen – garantiert werden. Hierzu ist eine internationale Plattform geplant, die den Zugang zu Impfstoffen, Medikamenten und Schutzausrüstung regelt.
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Stärkung der nationalen Gesundheitssysteme: Die Vertragsstaaten sollen ihre Infrastruktur zur Pandemiebekämpfung ausbauen, etwa durch den Ausbau von Laboren, Personalfortbildung oder Digitalisierung im Gesundheitswesen. Unterstützt werden sie dabei durch technische und finanzielle Hilfen der WHO und anderer Partner.
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Finanzierungsmechanismus für künftige Krisen: Das Abkommen sieht auch vor, einen Notfallfonds zu schaffen, der schnell aktiviert werden kann, um internationale Hilfseinsätze oder Forschungsprojekte während einer Gesundheitskrise zu finanzieren.
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Rechtsverbindlichkeit und Rechenschaftspflichten: Der Vertrag soll völkerrechtlich bindend sein. Länder, die den Vertrag ratifizieren, unterwerfen sich damit internationalen Standards und regelmäßigen Überprüfungsmechanismen. Gleichzeitig werden nationale Souveränitätsrechte beachtet, etwa bei der Umsetzung einzelner Maßnahmen.
USA beteiligen sich nicht – geopolitische Brisanz bleibt
Brisant ist, dass sich die Vereinigten Staaten, traditionell einer der größten WHO-Beitragszahler, nicht an der finalen Phase der Verhandlungen beteiligt haben. Hintergrund ist die kontrovers geführte innenpolitische Debatte über einen möglichen WHO-Austritt, der in bestimmten politischen Kreisen in den USA gefordert wird. Dennoch wird der Vertrag von der großen Mehrheit der WHO-Mitglieder – insgesamt 194 Staaten – als dringend notwendig und weitgehend konsensfähig betrachtet.
Internationale Reaktionen und Bedeutung
Vertreterinnen und Vertreter aus Afrika, Südamerika und Asien begrüßten den Vertrag ausdrücklich und forderten, dass insbesondere der gleichberechtigte Zugang zu medizinischer Versorgung nicht nur eine Absichtserklärung bleiben dürfe, sondern durch klare Mechanismen sichergestellt werde. Auch europäische Staaten betonten, dass dieser Vertrag ein Symbol für multilaterale Verantwortung und internationale Solidarität sei.
WHO-Generaldirektor Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus bezeichnete das Abkommen als „entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der globalen Gesundheit“. Die Weltgemeinschaft, so seine Worte, müsse vorbereitet sein – denn die Frage sei nicht, ob, sondern wann die nächste Pandemie komme.
Nächste Schritte
Mit der Einigung auf den Vertragstext steht nun die entscheidende Phase bevor: die formelle Annahme durch die Weltgesundheitsversammlung im Mai 2025. Bis dahin bleibt abzuwarten, wie viele Mitgliedsstaaten den Vertrag auch national ratifizieren und in welchen Punkten es möglicherweise noch Änderungswünsche geben wird. Klar ist jedoch schon jetzt: Der Pandemievertrag der WHO könnte zu einem der bedeutendsten internationalen Abkommen unserer Zeit werden – mit direktem Einfluss auf die Gesundheit von Milliarden Menschen weltweit.