Start Justiz Landgericht Hamburg: Vorlagebeschluss 309 OH 1/20 HCI Hanseatische Capitalberatungsgesellschaft mbH

Landgericht Hamburg: Vorlagebeschluss 309 OH 1/20 HCI Hanseatische Capitalberatungsgesellschaft mbH

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qimono (CC0), Pixabay

Az.: 309 OH 1/​20

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Beschluss

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In der Sache

Musterkläger (gem. § 9 Abs. 2 KapMuG vom Hanseatischen Oberlandesgericht zu bestimmen)

– Antragsteller –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte von Ferber, Langer, Neuer Wall 61, 20354 Hamburg, Gz.: Z-114/​19-OR

gegen

1) Ernst Russ AG, vertreten durch d. Vorstand Robert Werner Gärtner, Elbchaussee 370, 22609 Hamburg

– Antragsgegnerin –

2) HCI Treuhand GmbH & Co. KG, vertreten durch d. persönl. haft. Gesellschafterin Verwaltung HCI Treuhand GmbH, diese vertreten durch die Geschäftsführerin Frauke Schünemann, Elbchaussee 370, 22604 Hamburg

– Antragsgegnerin –

Prozessbevollmächtigte zu 1 und 2:
Rechtsanwälte Ahlers & Vogel, Contrescarpe 21, 28203 Bremen, Gz.: 12418/​19 – JBo /​

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beschließt das Landgericht Hamburg – Zivilkammer 9 – durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht Mithoff, die Richterin am Landgericht Dr. Klüber und die Richterin am Landgericht Wilts am 06.01.2021:

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I. Dem Hanseatischen Oberlandesgericht werden zum Zwecke der Herbeiführung eines Musterentscheids gemäß § 6 Abs. 1 KapMuG folgende Feststellungsziele vorgelegt:

Es wird festgestellt, dass der Verkaufsprospekt zu der „MS Voge Dignity GmbH & Co. KG“ vom 15.05.2009 über die Beteiligung an der MS Voge Dignity GmbH & Co. KG

in entscheidungserheblichen Punkten unrichtig bzw. unvollständig ist.

Im Einzelnen wird festgestellt:

1. Der Prospekt ist in wesentlichen Punkten unrichtig, unvollständig und irreführend, weil er unzureichende, irreführende und falsche Angaben über die Perspektiven der Weltwirtschaft und über die Perspektiven des Ölmarktes und des Marktes der Ölprodukte enthält, soweit er darstellt, dass

– „Ungeachtet der beschriebenen kurzfristigen Entwicklungen mittel- und langfristig von einer weiteren Steigerung des weltweiten Transportaufkommens über See ausgegangen werden könne.“ (vgl. Prospekt S. 31)

– bei den über See verschifften Rohölmengen im Jahr 2009 mit einer Zunahme von + 0,5 % zu rechnen sei und zu erwarten sei, dass bei den Ölprodukten der Verbrauch gegenüber dem Vorjahr konstant bleiben werde (vgl. Prospekt S. 31, rechte Spalte)

obwohl der Internationale Währungsfonds (IWF) in einer Studie von April 2009 (World Economic Outlook, Crisis and Recovery) auf die sich der Prospekt ausdrücklich bezieht, vor einer deutlichen Schrumpfung der Weltwirtschaft warnt. Der IFW spricht in diesem Zusammenhang von einem globalen Abschwung und von der mit Abstand tiefsten Rezession nach dem Zweiten Weltkrieg.

2. Der Prospekt ist in wesentlichen Punkten unrichtig, unvollständig und irreführend, weil

a) der Prospekt unzureichende Angaben über das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage enthält, soweit in Aussicht gestellt wird, dass aufgrund steigender Nachfrage nach Rohöltransporten von positiven Beschäftigungsaussichten für Neuablieferungen auszugehen sei, obwohl das für die kommenden vier Jahre absehbare Ablieferungsvolumen über dem der existierenden Einhüllentanker liegt, welche aufgrund der IMO-Richtlinien in absehbarer Zeit verschrottet werden müssen (vgl. Prospekt S. 32)

b) die auf die Entwicklung der Nachfrage beschränkte grafische Darstellung (S. 31 des Prospekts) unvollständig und irreführend ist, da der Prospekt es insoweit versäumt, neben der Entwicklung der Nachfrageseite auch die Entwicklung der Angebotsseite darzustellen und die historische und die zu erwartende Entwicklung von Angebots- und Nachfrageseite ins Verhältnis zu setzen.

3. Der Prospekt ist in wesentlichen Punkten unrichtig, unvollständig und irreführend, weil er irreführende Angaben zu den Markt- und Beschäftigungsaussichten aufgrund sog. Phasing- Out-Vorschriften enthält, indem auf S. 5 und auf S. 32 dargestellt wird, dass der wachsenden Nachfrage nach Transportkapazität im Schiffsegment des Fondsschiffs ein Angebotsrückgang durch die gesetzlich vorgeschriebene Ausmusterung von Einhüllentankern bis 2010 gegenüberstehe, obwohl die Bestimmungen der IMO zur Aussonderung von Einhüllentankern gerade keinen verbindlichen Charakter aufwiesen und damit auch nicht zwingend für jedes der betroffenen Einhüllentankschiffe Geltung beanspruchen konnte.

4. Der Prospekt ist in wesentlichen Punkten unrichtig, unvollständig und irreführend, weil er irreführende Angaben zu den historischen Charterraten und unvertretbare Annahmen bezüglich der zu erwartenden Chartereinnahmen enthält, in dem er

a) für die die Prognoseannahmen plausibilisierende grafische Darstellung Spot-Chartern in Zeitcharter-Äquivalente umrechnet, ohne zu erläutern, dass auf Basis lediglich nur einzelner Reisen errechnete Zeitcharterraten-Äquivalente mit normalen Zeitcharterraten für einen längeren Zeitraum nicht vergleichbar sind, da bei der Umrechnung von Spot-Raten (einzelne Reisen) in Zeitcharter-Äquivalente zwar Kosten für Treibstoff und Belade- und Entladevorgänge im jeweiligen Hafen berücksichtigt werden, andere erhebliche Kostenfaktoren, wie z. B. sonstige reisebezogene Kosten, Wartezeit des Schiffes im Hafen mit zusätzlichen Hafengebühren und insbesondere beschäftigungslose Zeiten des Schiffes (keine unmittelbare Anschlussbeschäftigung nach Löschen der Landung) bei der Berechnung nicht berücksichtigt werden.

b) bereits ab dem Jahr 2011 von eine Zeitcharterrate in Höhe von rd. 20.000,– USD/​Tag zugrunde legte, die der Charterer erzielen würde, um auf der Basis des vereinbarten Profitsplittings (50 ./​. 50) die kalkulierte Rate von 17.500,– USD/​Tag für die Schiffsgesellschaft rechnerisch erzielen zu können, obwohl der um Sondereffekte bereinigte Durchschnitt des 10-Jahreszeitraumes vor der Prospekterstellung nur ein Ertragspotenzial von rd. 16.000 USD/​Tag nahe legte.

5. Der Prospekt ist in wesentlichen Punkten unrichtig, unvollständig und irreführend, weil er über Risiken der Vermögensanlage nur unvollständig aufklärt,

a) indem er nicht darüber aufklärt, dass das Fondsschiff für Verbindlichkeiten Dritter, namentlich des Charterers haftet und

b) indem er nur unzureichend und verharmlosend über die negativen Prognosen für das Wachstum der Weltwirtschaft und über die negativen Prognosen für den Ölmarkt und die daraus folgenden Risiken für die Anlage informierte.

6. Der Prospekt ist in wesentlichen Punkten unrichtig, unvollständig und irreführend, weil er nicht über den Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag zwischen der HCI Capital AG (jetzt Ernst Russ AG, die Beklagte zu 1.) und der HCI Treuhand GmbH (jetzt HCI Treuhand GmbH & Co. KG) aufklärte, obwohl durch diesen Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag eine tatsächliche und finanzielle Entrechtung der HCI Treuhand GmbH erfolgte, so dass eine neutrale Wahrnehmung der Interessen des Klägers und aller anderen Treugeber, wie es der Treuhandvertrag mit den Anlegern grundsätzlich vorsah, nicht mehr gewährleistet werden konnte.

7. Der Prospekt ist in wesentlichen Punkten unrichtig, unvollständig und irreführend, weil er nicht über das Risiko der steuerlichen Aberkennung der Mitunternehmerschaft aufklärte, obwohl der Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag (s. unter Ziff. 6.), zwischen der HCI Capital AG und der die HCI Treuhand GmbH dazu führte, dass nicht die Treugeber, sondern die HCI Capital AG gegenüber der HCI Treuhand weisungsbefugt war, womit eine wesentliche Voraussetzung der steuerlichen Mitunternehmerschaft (Weisungsbefugnis gegenüber der Treuhänderin) nicht mehr gegeben war.

8. Der Prospekt ist in wesentlichen Punkten unrichtig, unvollständig und irreführend, weil die Prognoseannahmen zu den Schiffsbetriebskosten, insbesondere die Annahmen zur jährlichen Steigerung der Schiffsbetriebskosten (1,5 % bzw. 3 %, S. 37 des Prospekts) unvertretbar waren, indem sie den eigenen Erfahrungen der Beklagten bei früheren Schiffsbeteiligungsmodellen widersprachen, die Inflation der maßgeblichen USD-Währung nicht berücksichtigten und die Personalkostenumlage für das Führen der deutschen Flagge nicht berücksichtigten.

9. Der Prospekt ist in wesentlichen Punkten unrichtig, unvollständig und irreführend, weil die Prognose nicht berücksichtigt, dass der Vertragsreeder bereits in der Vergangenheit das Schiffsbetriebskostenbudget um durchschnittlich um 8 % bis 12 % überschritten hatte.

10. Der Prospekt ist in wesentlichen Punkten unrichtig, unvollständig und irreführend, weil er nicht über die negative Leistungsbilanz der vom Vertragsreeder für die HCI-Gruppe gemanagten Schiffe aufklärt.

11. Der Prospekt ist in wesentlichen Punkten unrichtig, unvollständig und irreführend, weil er unzureichende und irreführende Angaben über die Leistungsbilanz der fahrenden, von der HCI-Gruppe emittierten Schiffe enthält, indem auf S. 24 des Prospekts sowie die Abb. 1 auf S. 25 des Prospekts eine positive Leistungsbilanz aller von HCI emittierten Schiffe dargestellt wird, obwohl die für den Prospektleser allein interessierende Leistungsbilanz der von der HCI-Gruppe emittierten Tankschiffe negative Abweichungen beim Reedereiüberschuss und bei den Ausschüttungen ausgewiesen hätten.

12. Der Prospekt ist in wesentlichen Punkten unrichtig, unvollständig und irreführend, weil er keine Aufklärung darüber enthielt, dass bereits ein geringfügiger Angebotsüberhang erhebliche Einbußen der Chartererlöse zur Folge hat.

Dieser Vorlagebeschluss und das Datum seiner Veröffentlichung sind gemäß § 6 Abs. 4 KapMuG im Klageregister öffentlich bekannt zu machen.

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Gründe:

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Die Antragsteller in den unter Ziffer II. 3. genannten Verfahren nehmen die Antragsgegner auf Schadensersatz insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Prospekthaftung im weiteren Sinne in Anspruch.

Die Antragsteller zeichneten jeweils über die Antragsgegnerin zu 2) als Treuhandkommanditistin eine mittelbare Beteiligung an der Beteiligungsgesellschaft MS Voge Dignity GmbH & Co. KG, deren Gründungskommanditistin die Beklagte zu 1) ist. Die Beklagte zu 1) firmierte zu dem Zeitpunkt unter HCI Capital AG.

Grundlage des Beteiligungsangebots war der Emissionsprospekt „Voge Dignity“ mit Stand vom 15.05.2009.

Das Fondskonzept sah die treugeberische Beteiligung der oben genannten Kommanditgesellschaft vor, welche in einen Produkten-/​Chemikalientankerneubau der Handysizeklasse mit einer Tragfähigkeit von 38.500 tdw investiert.

Gemäß § 3 Ziff. 2 des Gesellschaftsvertrages (Seite 78 des Prospekts) waren die Antragsgegner Gründungskommanditisten der Fondsgesellschaft.

Die Antragsteller tragen vor, dass der Emissionsprospekt fehlerhaft sei und insbesondere die in den Feststellungszielen zu 1 bis 12 aufgeführten Mängel aufweise.

II.

1.

Das Landgericht Hamburg ist für die Entscheidung über den Vorlagebeschluss zuständig, weil die Zuständigkeit eines anderen Gerichts gemäß § 6 Abs. 2 KapMuG nicht gegeben ist. Ausweislich des Klageregisters nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz sind bis zum Zeitpunkt des Vorlagebeschlusses keine gleichgerichteten Musterverfahrensanträge bekannt gemacht worden.

2.

Der Musterverfahrensantrag ist in seinen Feststellungszielen statthaft, denn die geltend gemachten Anträge fallen in den Anwendungsbereich des § 1 KapMuG. Es werden vorliegend insbesondere Schadensersatzansprüche wegen Verwendung falscher oder irreführender öffentlicher Kapitalmarktinformationen geltend gemacht, die nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG musterverfahrensfähig sind.

Bei den Angaben aus dem Emissionsprospekt „Voge Dignity“ handelt es sich um eine öffentliche Kapitalmarkinformation i.S.d. §§ 1 Abs. 1 Nr. 2, 2 Abs. 2 KapMuG.

3.

Die Kammer hat gemäß § 3 Abs. 4 KapMuG von der gemäß § 3 Abs. 2 KapMuG grundsätzlich vorgesehenen öffentlichen Bekanntmachung der einzelnen Musterverfahrensanträge im Klageregister abgesehen, weil die Voraussetzungen für eine Vorlage an das Hanseatische Oberlandesgericht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 KapMuG bereits vorliegen.

Es liegen bei der Kammer 15 anhängige Verfahren mit gleichgerichteten Musterverfahrensanträgen mit folgenden Aktenzeichen vor:

309 O 44/​19 mit insgesamt zwölf Antragstellern (zuerst anhängige Musterverfahrensanträge)

309 O 51/​19

309 O 56/​19

309 O 57/​19

4.

Die Musterverfahrensanträge sind mit ihren geltend gemachten Feststellungszielen zulässig, denn die Entscheidung der zugrunde liegenden Rechtsstreitigkeiten hängt von den Feststellungszielen ab (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG).

a)

Die Feststellungsziele zu Ziffer I. des Tenors sind nach Auffassung der Kammer nicht zu beanstanden.

b)

Die Entscheidung der zugrunde liegenden Rechtsstreitigkeiten ist von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängig.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegner sind etwaige Schadensersatzansprüche der Antragsteller auch nicht verjährt. Für die Beurteilung der Kenntnis beziehungsweise grob fahrlässigen Unkenntnis des Gläubigers von den seinen Anspruch begründenden Umständen gemäß § 199 Abs. 1 BGB ist jeder vorgetragene Prospektfehler getrennt zu prüfen und jede darauf beruhende Pflichtverletzung verjährungsrechtlich selbständig zu behandeln (vgl. BGH, Urteil vom 30.03.2017 – III ZR 139/​15, Rn. 19, zitiert nach juris). Die Antragsgegnerin hat insoweit lediglich ausgeführt, dass die Anleger Unterlagen zu einem neuen Finanzierungskonzept für die Fortführung der Gesellschaft trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten erhalten hätten (Anlage B 2 und B 3). Hieraus folgt jedoch keine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Anleger hinsichtlich jedes einzelnen gerügten Prospektfehlers. Vielmehr setzen die Schreiben die Anleger lediglich davon in Kenntnis, dass sich die Anlage nicht wie prognostiziert entwickelte.

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Rechtsbehelfsbelehrung:

Der Beschluss ist mit Rechtsmitteln nicht anfechtbar, § 6 Abs. 1 S. 2 KapMuG.

Mithoff

Dr. Klüber

Wilts

Vorsitzende Richterin
am Landgericht

Richterin
am Landgericht

Richterin
am Landgericht

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