Eine investigative Recherche der BBC hat aufgedeckt, dass der britische Ölkonzern Shell über Jahre hinweg Warnungen über Betrug und Missmanagement im Rahmen eines milliardenschweren Öl-Säuberungsprojekts in Nigeria ignoriert haben soll.
Offiziell behaupten sowohl Shell als auch die nigerianische Regierung, dass die seit acht Jahren laufende Säuberung des von Ölverschmutzung schwer betroffenen Ogoniland erfolgreich verlaufe. Doch Whistleblower und lokale Beobachter sprechen von einem „Betrug“ und einer „Farce“, die Milliarden an Geldern verschwenden, während die Einwohner weiterhin unter der massiven Umweltkatastrophe leiden.
Die Enthüllungen kommen zu einem brisanten Zeitpunkt, da Shell ab Donnerstag in London vor Gericht steht. Zwei betroffene Gemeinden mit insgesamt 50.000 Bewohnern klagen gegen den Konzern und fordern, dass Shell für jahrzehntelange Ölverschmutzungen in Ogoniland zur Verantwortung gezogen wird.
Ölkatastrophe in Ogoniland: Seit 1958 verseucht
Seit der Entdeckung von Rohöl in der nigerianischen Niger-Delta-Region vor 68 Jahren sind nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) mindestens 13 Millionen Barrel Öl (ca. 1,5 Millionen Tonnen) in mehr als 7.000 Zwischenfällen ins Ökosystem gelangt.
🔴 Folgen für die Einwohner:
- Verseuchtes Trinkwasser
- Zerstörung von Fischbeständen und Ackerland
- Steigende Krankheits- und Sterberaten
Paulina Agbekpekpe, eine Bewohnerin von Bodo, erzählt, dass acht ihrer Kinder gestorben sind und ihr Ehemann schwer krank ist. „Früher gab es hier grüne Landschaften, Mangroven, Palmen – jetzt ist alles verseucht.“
Grace Audi, eine 37-jährige Mutter aus Ogale, muss täglich teures sauberes Wasser kaufen, da der einzige Brunnen in ihrer Nähe kontaminiert ist. Ein Kanister kostet umgerechnet 3 Dollar – in einer Region, in der das durchschnittliche Tageseinkommen unter 8 Dollar liegt.
2011: UN schlägt Alarm – doch nichts geschieht
Im Jahr 2011 veröffentlichte das UN-Umweltprogramm (UNEP) eine bahnbrechende Studie über die Folgen der Ölverschmutzung in Ogoniland. Die Ergebnisse waren alarmierend:
⚠ Benzol-Werte im Trinkwasser bis zu 900-fach über dem WHO-Grenzwert
⚠ Erhöhte Krebsrisiken durch verschmutzte Luft
⚠ Stark kontaminierte Böden und Gewässer
⚠ Shells frühere Säuberungsmaßnahmen unzureichend und ineffektiv
Die UN empfahl eine umfassende Reinigung des Gebiets, die 25–30 Jahre dauern würde. Dies führte 2012 zur Gründung der Hydrocarbon Pollution Remediation Project (Hyprep), einer staatlichen Initiative zur Säuberung des verseuchten Gebiets – finanziert mit 1 Milliarde Dollar von Ölkonzernen, darunter Shell und die staatliche Nigerian National Petroleum Company (NNPC).
Doch jahrelang geschah nichts. Erst 2016 begann unter einer neuen Regierung die Umsetzung des Programms.
Whistleblower: „Die Öl-Säuberung ist ein Betrug“
Interne Dokumente und anonyme Insider-Quellen zeigen, dass Shell und die nigerianische Regierung seit Jahren über schwerwiegende Probleme in der Umsetzung von Hyprep informiert waren.
Ein Insider beschreibt das Projekt als „groß angelegten Betrug“:
„Es ist allgemein bekannt, dass das, was wir hier tun, ein Schwindel ist. Es geht darum, die Ogoni-Bevölkerung zu täuschen und gleichzeitig mehr Geld in die Taschen von Politikern und anderen einflussreichen Personen zu lenken.“
🔴 Zentrale Vorwürfe:
✅ Vergabe von Aufträgen an unqualifizierte Firmen
✅ Gefälschte Laborberichte, die verschmutzte Böden als „sauber“ ausweisen
✅ Künstliche Preisaufschläge für Aufträge
✅ Unabhängige Prüfer wurden teilweise an der Inspektion gehindert
Bereits 2022 warnte die UN die nigerianische Regierung: Sollte sich nichts ändern, werde die Säuberung weiterhin „extrem schlechte Standards“ aufweisen.
Auch Shell selbst war über die Probleme informiert. In einem internen Treffen mit dem britischen Hochkommissar für Nigeria im Januar 2023 gab der Konzern zu, dass Hyprep mit „institutionellen Herausforderungen“ zu kämpfen habe. Dennoch stoppte Shell nicht die Finanzierung.
Shells Verteidigung: Die Schuld liegt bei Kriminellen
Shell weist jegliche Verantwortung für die anhaltende Umweltverschmutzung zurück und verweist auf Sabotage, Öl-Diebstahl und illegale Raffinerien als Hauptursachen für Lecks und Verschmutzungen.
💬 Shell-Sprecher:
„Wenn es Ölverschmutzungen gibt, reinigen wir die Gebiete – unabhängig von der Ursache. Bei betrieblichen Lecks zahlen wir auch Entschädigungen.“
Der Konzern betont, dass er Sicherheitsmaßnahmen wie Luftüberwachung, Stahlkäfige für Pipelines und die Entfernung illegaler Verbindungen ergriffen habe.
Dennoch laufen immer mehr Prozesse gegen den Energiekonzern.
Shell vor Gericht: Neue Milliardenklage in London
Die neuen Enthüllungen sind besonders brisant, da am Donnerstag in London ein Zivilprozess gegen Shell beginnt.
Zwei Gemeinden mit 50.000 Einwohnern fordern Entschädigung für jahrzehntelange Ölverschmutzungen.
Ihre Vorwürfe:
✅ Verschmutztes Wasser, das sie zum Trinken, Kochen und Waschen nutzen müssen
✅ Zerstörte Lebensgrundlagen durch unfruchtbare Böden und vergiftete Flüsse
✅ Hohe Krankheits- und Sterberaten durch die Umweltverschmutzung
Shell streitet die Vorwürfe ab und gibt an, dass es für Schäden durch Sabotage und illegale Öl-Raffinerien nicht haftbar sei.
Shell will Nigeria-Geschäft verkaufen – ein Fluchtversuch?
Während sich Shell vor Gericht verteidigt, bereitet der Konzern den Verkauf seines nigerianischen Tochterunternehmens (SPDC) an das Konsortium Renaissance Africa vor.
Viele Einwohner von Ogoniland werfen dem Unternehmen vor, sich „aus dem Staub zu machen“, ohne das Gebiet jemals richtig zu reinigen.
Joe Snape, Anwalt der Kläger, warnt:
„Es gibt kaum Informationen darüber, welche Folgen dieser Verkauf haben wird. Zumindest Shell konnten wir bislang rechtlich zur Verantwortung ziehen – bei Renaissance Africa wissen wir nicht, was auf uns zukommt.“
Fazit: Ein Jahrzehnte alter Skandal ohne Ende?
Die Ölverschmutzung in Ogoniland ist eine der schlimmsten Umweltkatastrophen der Welt – verursacht durch Jahrzehnte rücksichtsloser Ölförderung, Korruption und mangelnder Verantwortungsübernahme.
Während die Bewohner unter den giftigen Folgen der Ölindustrie leiden, läuft eine mutmaßlich betrügerische Säuberungsaktion, die wenig bewirkt.
Mit der bevorstehenden Gerichtsverhandlung könnte Shell erstmals ernsthaft zur Rechenschaft gezogen werden – doch viele Betroffene befürchten, dass sich durch den geplanten Konzernverkauf an ihrer Situation nichts ändern wird.
Ob die Justiz den multinationalen Konzern tatsächlich zu Milliardenstrafen oder einer echten Umwelt-Säuberung zwingen kann, bleibt abzuwarten.