OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN
BESCHLUSS
In dem Musterverfahren
der Frau Ute Sabine Maria Thöle,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte von Ferber Lange, Neuer Wall 61, 20354 Hamburg,
(Az.: Landgericht Frankfurt am Main: 2-30 O 426/16)
gegen
1) die DB Privat- und Firmenkundenbank AG, gesetzlich vertreten durch den Vorstand, Theodor-Heuss-Allee 72, 60486 Frankfurt am Main,
2) Deutsche Bank AG, gesetzlich vertreten durch den Vorstand, Taunusanlage 12, 60326 Frankfurt am Main, u.a.
3) NORDCAPITAL Emissionshaus GmbH & Cie. KG, vertreten durch die Komplementärin Verwaltung NORDCAPITAL Emissionshaus GmbH, diese vertreten durch die Geschäftsführer, Hohe Bleichen 12, 20354 Hamburg,
4) NORDCAPITAL Treuhand GmbH & Cie. KG, vertreten durch die Komplementärin Verwaltung NORDCAPITAL Treuhand GmbH, diese vertreten durch die Geschäftsführer, Hohe Bleichen 12, 20354 Hamburg,
Prozessbevollmächtigte für die Musterbeklagten zu 1) und 2):
Rechtsanwälte Noerr, Börsenstraße 1, 60313 Frankfurt am Main,
Prozessbevollmächtigte für die Musterbeklagten zu 3) und 4):
Anwaltsbüro Lebuhn & Puchta, Am Sandtorpark 2, 20457 Hamburg,
Beteiligte:
NORDCAPITAL Bulkerflotte 1 GmbH & Co. KG, vertreten durch die Komplementärin Verwaltung NORDCAPITAL Bulkerflotte 1 GmbH, diese vertreten durch die Geschäftsführer, Hohe Bleichen 12, 20354 Hamburg,
NORDCAPITAL Emissionshaus GmbH & Cie. KG, vertreten durch die Komplementärin Verwaltung NORDCAPITAL Emissionshaus GmbH, diese vertreten durch die Geschäftsführer, Hohe Bleichen 12, 20354 Hamburg,
NORDCAPITAL Treuhand GmbH & Cie. KG, vertreten durch die Komplementärin Verwaltung NORDCAPITAL Treuhand GmbH, diese vertreten durch die Geschäftsführer, Hohe Bleichen 12, 20354 Hamburg,
Nebenintervenientinnen,
Prozessbevollmächtigte zu 1, 2 und 3:
Anwaltsbüro Lebuhn & Puchta, Am Sandtorpark 2, 20457 Hamburg,
hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main – 23. Zivilsenat
durch | Vorsitzenden Richter am OLG | Dr. Seyderhelm |
Richter am OLG | Kruske und | |
Richter am OLG | Rathmann |
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. Mai 2019
beschlossen:
Die Feststellungsanträge werden zurückgewiesen, soweit sie nicht gegenstandslos geworden sind.
Der Erweiterungsantrag der Musterklägerin aus dem Schriftsatz vom 19. Juni 2019 wird zurückgewiesen.
Gründe
I)
Die Parteien streiten im Rahmen eines Musterverfahrens nach dem Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz (KapMuG) über die Fragen, ob der Verkaufsprospekt des Schiffsfonds „Nordcapital Bulkerflotte I“ zutreffend ist bzw. sich aus etwaigen Unrichtigkeiten bzw. Unvollständigkeiten Ansprüche aus Prospekthaftung ergeben.
Anlageobjekt bzw. Beteiligungsgesellschaft war die Nordcapital Bulkerflotte 1 GmbH & Co. KG, die am 4. April 2008 gegründet worden war; Komplementärin ist die Verwaltung Nordcapital Bulkerflotte I GmbH, Kommanditisten sind die Musterbeklagten zu 3) und 4) und die Nordcapital Shipping GmbH & Cie. KG, wobei das Kommanditkapital insgesamt 225.750.000,00 US-Dollar betragen sollte, von denen bei der Gründung 75.000,00 US-Dollar eingezahlt worden waren. Die Nordcapital Bulkerflotte 1 GmbH & Co. KG wiederum sollte sich nach der Planung an 12 Kommanditgesellschaften als maßgebliche Gesellschafterin (jeweils 91,7% des Kommanditkapitals) beteiligen, die wiederum jeweils ein Schiff erwerben sollten. Die jeweiligen Anleger sollten über eine Treuhandgesellschaft, die Musterbeklagte zu 4), an der Beteiligungsgesellschaft partizipieren. Geplant war, dass bis zum 31. Dezember 2008 ein Kapital von insgesamt 225,6 Mio. US-Dollar eingeworben werden sollte, wobei ein Betrag von 114 Mio. US-Dollar als Mindestzeichnungssumme erreicht werden sollte. Die Laufzeit des Fonds sollte bis zum 31. Dezember 2026 dauern.
Der Vertrieb der Anteile erfolgte exklusiv durch die Musterbeklagten zu 1) und 2), wobei die Betreuung der Investoren durch die 22. Paxas Treuhand- und Beteiligungsgesellschaft mbH (im Folgenden: Paxas) erfolgen sollte. Gesellschafter der Paxas waren bzw. sind die Deutsche Immobilien Leasing GmbH und die BLI Beteiligungsgesellschaft für Leasinginvestitionen mbH, die wiederum zur Gruppe der Musterbeklagten zu 1) und 2) gehören. Die Aufgaben der Paxas werden im Prospekt auf S. 61 wie folgt beschrieben:
Betreuung der Investoren |
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Der Treuhänder hat die Betreuung der Investoren auf der Grundlage eines Geschäftsbesorgungsvertrages auf die ZWEIUNDZWANZIGSTE PAXAS Treuhand- und Beteiligungsgesellschaft mbH (im folgenden Paxas) übertragen. |
Die Vergütung der Paxas wird dabei auf S. 70 dargestellt, wobei diese in den Vergütungen der Musterbeklagten zu 4) enthalten gewesen sein sollte; diese Vergütung wurde betragsmäßig angegeben.
Die Investitionsrechnung des Fonds wird im Prospekt auf S. 44 dargestellt, worauf Bezug genommen wird.
Gegenstand der Investitionen der einzelnen Schiffsgesellschaften war jeweils ein Schiff des Typs Massengutfrachter (sog. Bulkcarrier, Bulker oder Schüttgutfrachter), mit dem – anders als bei Container-Schiffen – lose Massengüter, wie z.B. Kohle und Erz, transportiert werden können. Dabei sollten die Schiffe zu der Klasse der sog. Supramaxbulker gehören, die eine maximale Tragfähigkeit von 55.783tdw (= tons deadweight, entspricht jeweils 1 metrischen Tonne) sowie ein eigenes Ladegeschirr haben. Massengutfrachter werden dabei – ausgehend von der Tragfähigkeit – in folgende Kategorien aufgeteilt:
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Die Schiffe sollten bei der Hyundai Mipo Dockyard, Korea, gefertigt und planmäßig zwischen Juli 2009 und Oktober 2011 ausgeliefert werden. Vier Schiffe waren an Hanjin Shipping und acht Schiffe an Korea Line für jeweils fünf Jahre ab Ablieferung verchartert. Am Ende der Laufzeit des Fonds sollten die Schiffe mit einem Veräußerungserlös von 35% der jeweiligen Anschaffungskosten, die pro Schiff ca. 50 Mio. US-Dollar betragen sollten, veräußert werden. Im Prospekt heißt es dazu (S. 36):
Gutachterliche Stellungnahme |
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Der von der Handelskammer Hamburg öffentlich bestellte und vereidigte Schiffsschätzer Ulrich Blankenburg, Hamburg, wurde von den Schiffsgesellschaften beauftragt, Bewertungsgutachten für die Schiffe zu erstellen. Er kommt in seinen Gutachten vom 5. Mai 2008 zu dem Ergebnis, dass der Baupreis der Schiffe marktkonform ist und in Bezug auf den Ertragswert der geschlossenen Charter sowie die derzeitigen sehr hohen Second-Hand-Marktwerte als günstig zu beurteilen ist. Weiterhin wird im Gutachten bestätigt: „Nach 16 Betriebsjahren haben die Verkaufserlöse für diesen Schiffstyp in den meistens Fällen zwischen 30 und 50 % der Anschaffungswerte gelegen; daher halten wir einen erzielbaren Restwert von 35 % für realistisch.“ |
In den entsprechenden Gutachten zu jedem einzelnen Schiff führt der Sachverständige Blankenburg aus:
Im Rahmen separater Gutachten ist von uns über einen Zeitraum von mehr als 25 Jahren für die Entwicklung der Wiederverkaufserlöse von verschiedenen Schiffstypen – auch Handymax Bulker – festgestellt worden, dass unter Berücksichtigung einer jährlichen Inflationsrate von bis zu 3,0 %, nach Bereinigung extremer Marktschwankungen sowie bei angemessenem Anschaffungswert, der durchschnittliche Restwert nach 15 Betriebsjahren für diesen Schiffstyp bei über 25 %, in der Majorität der Fälle bei über 40 % gelegen hat; Voraussetzung ist eine Bewertung auf USD-Basis. |
Die Finanzierung der Schiffe sollte durch Schiffshypotheken erfolgen, wobei hier jeweils gemischte Darlehen vorgesehen waren, die überwiegend in US-Dollar und zu einem kleineren Anteil in japanischem Yen begeben werden sollten. Im Prospekt heißt es dazu (S. 20):
Die Schiffshypothekendarlehen sollen zu 75 % in US-Dollar und zu 25 % in japanischem Yen aufgenommen werden. |
Der Prospekt für die Anlage wurde am 15. Mai 2008 aufgestellt und am 27. Mai 2008 veröffentlicht; als Prospektverantwortliche wird die Musterbeklagte zu 3) genannt.
Die Zeichnungsphase wurde bereits im August 2008 abgebrochen, so dass nicht zwölf, sondern nur acht Schiffe erworben wurden. Es handelt sich um die
E.R. Bergamo, |
Ein Teil der Schiffe wurde inzwischen – auch auf Betreiben der finanzierenden Banken – verkauft.
Die Musterklägerin zeichnete am 30. Juli/7. August 2008 einen Beteiligungsbetrag in Höhe von 15.000,00 US-Dollar, worauf sie zzgl. Agio (5%) insgesamt 15.750,00 US-Dollar zahlte.
Ab dem Jahr 2016 wurden vor dem LG Frankfurt am Main gegen die Musterbeklagten zu 1) und 2) eine Vielzahl von Klagen mit dem Ziel der Rückgängigmachung der Anlage in den streitgegenständlichen Fonds erhoben. Schwerpunkt der Klagen war, soweit für das hiesige Verfahren relevant, die Rüge, der streitgegenständliche Prospekt sei fehlerhaft, insbesondere seien die Verbindungen der an der Anlage beteiligten Gesellschaften zu den Musterbeklagten zu 1) und 2) unrichtig dargestellt, die angegebenen Prognosen zu dem Frachtgeschäftsmarkt seien unzutreffend und die Schätzungen zum Wiederverkauf der Schiffe zu hoch.
Unter dem 9. Mai 2018 erließ das Landgericht auf Grundlage des KapMuG einen Vorlagebeschluss, der am 15. Mai 2018 im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht wurde.
Mit Beschluss vom 12. April 2019 erweiterte der Senat das Musterverfahren auf Antrag weiterer Beteiligter. In der mündlichen Verhandlung vom 15. Mai 2019 wurde das Musterverfahren erneut erweitert.
Danach ist über folgende Feststellungsziele zu entscheiden:
I. Es wird festgestellt, dass der am 15.05.2008 aufgestellte und am 27.05.2008 veröffentlichte Verkaufsprospekt über das Angebot zur Beteiligung an dem Schiffsfonds NORDCAPITAL Bulkerflotte 1 GmbH & Co. KG in wesentlichen Punkten unrichtig und unvollständig ist. |
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Im Einzelnen wird festgestellt:
II. Es wird festgestellt, dass die vorstehend dargestellten Lücken und Unrichtigkeiten der Prospektdarstellung, insbesondere die fehlende Darstellung der absehbar bedrohlichen Marktentwicklung und die Unvertretbarkeit der Prognoseannahmen bei der vorliegend angezeigten Prüfung des Prospekts mit banküblichem kritischem Sachverstand erkennbar waren. III. Es wird festgestellt, dass die Antragsgegnerin auch unter dem Gesichtspunkt der Prospekthaftung im weiteren Sinne für die vorstehenden Lücken und Unrichtigkeiten der Prospektdarstellung haftet. IV. Es wird festgestellt, dass die Antragsgegnerin verpflichtet war, beitretende Anleger im Rahmen der anlagegerechten Beratung darauf hinzuweisen, dass es sich bei der ZWEIUNDZWANZIGSTE Paxas Treuhand- und Beteiligungsgesellschaft mbH um ein Unternehmen der Deutsche Bank Gruppe handelte und beitretende Anleger ferner über die Höhe der Vergütungen aufzuklären, die die ZWEIUNDZWANZIGSTE Paxas Treuhand- und Beteiligungsgesellschaft mbH für die Kundenbetreuung erhalten sollte. V. Es wird festgestellt, dass die Musterbeklagten verpflichtet waren, beitretende Anleger darauf hinzuweisen, dass die von der Paxas zu erbringenden Treuhandaufgaben über einen Geschäftsbesorgungsvertrag von der DIL erbracht werden sollten, wobei es sich um eine von der Musterbeklagten zu 2) beherrschte Konzerngesellschaft handelte, mit der ein Ergebnisabführungsvertrag bestand. Es wird festgestellt, dass die Musterbeklagten verpflichtet waren, beitretende Anleger darauf hinzuweisen, dass die Musterbeklagte zu 2) über ihre Beteiligung an der Deutsche Immobilien-Leasing GmbH zusätzliche Vergütungen in Höhe von rund 13,8 Mio. US-Dollar erhalten sollte. |
Die Musterbeklagten beantragen,
die Feststellungsanträge zurückzuweisen. |
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Mit Beschluss vom 6. Juli 2018, veröffentlicht am 13. Juli 2018 im elektronischen Bundesanzeiger, hat der Senat die Musterklägerin bestimmt. |
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Die Musterklägerin und die Beigeladenen vertreten die Ansicht, im Prospekt sei nicht hinreichend über das Provisionsinteresse der Musterbeklagten zu 1) und 2) aufgeklärt worden; insbesondere sei nicht hinreichend dargestellt worden, dass die Musterbeklagte zu 2) über die Paxas noch (weitere) Vergütungen erhalte. Auch werde nicht mitgeteilt, dass sich die Paxas eines weiteren Unternehmens aus der Gruppe der Musterbeklagten zu 1) und 2) bediene, der DIL, so dass hier weitere Vergütungen für die Musterbeklagten zu 1) und 2) anfallen würden. Schließlich fehle eine Angaben dazu, dass und wie die Paxas über ihre Gesellschafter mit der Gruppe der Musterbeklagten zu 1) und 2) verbunden sei. Jedenfalls sei über die Weitergabe der Arbeiten durch die Paxas aufzuklären gewesen und die Vergütung für diese sei insgesamt zu hoch. |
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Die Beigeladenen schließen sich dem Vortrag der Musterklägerin an und ergänzen diesen. |
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Die Musterbeklagten weisen darauf hin, dass die Prognosen ordnungsgemäß, nämlich auf zutreffender tatsächlicher Grundlage, und sorgfältig erfolgt seien. Im Übrigen seien in dem Prospekt alle erforderlichen Hinweise – auch zu den Risiken der Beteiligung – enthalten. |
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Mit Beschlüssen vom 24. Juli 2018 und 10. April 2019 hat der Senat die Musterbeklagten zu 2) und die Musterbeklagten zu 3) und 4) bekannt gegeben. |
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Nach Schluss der mündlichen Verhandlung hat die Musterklägerin mit Schriftsatz vom 19. Juni 2019 einen weiteren Erweiterungsantrag gestellt. |
II)
Zulässigkeit des Antrags
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Begründetheit des Antrags – einzelne Feststellungsziele
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