Start Allgemein EU-Richtlinie nervt Polizisten und Strafrichter – freut Anwälte

EU-Richtlinie nervt Polizisten und Strafrichter – freut Anwälte

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Richtlinie der Europäischen Union wirbelt den Strafprozess durcheinander

Die Bundesrepublik Deutschland ist mittels eines völkerrechtlichen Vertrages der Europäischen Union beigetreten. Diese Union der Staaten Europas darf auch Gesetze erlassen. Das besondere an den Richtlinien der EU ist, dass diese nicht direkt gelten. Der deutsche Gesetzgeber muss wie alle anderen Staaten sich an der Richtlinie orientieren und diese dann in deutsches Recht umsetzen.

Rechtspraxis bisher im Strafprozess

Nach dem bisherigen deutschen Recht passierte regelmäßig folgendes: Ein Bankräuber rennt in eine Bank und ruft „Banküberfall“. Auf der Flucht verliert er den Personalausweis vor der Bank. Die Polizei findet den Ausweis und schließt daraus, dass der Inhaber wohl der Bankräuber gewesen sein könnte. Dann bastelt die Staatsanwaltschaft daraus eine Anklage, die vor einem Gericht verhandelt wird. Bei schlimmen Straftaten bekommt der Bankräuber dann von dem Gericht einen Zwangsverteidiger zugewiesen (auch genannt Pflichtverteidiger). Dagegen kann der Angeklagte sich nicht wehren. Da das Gericht den Pflichtverteidiger aussucht und von dem Gericht bezahlt wird, kann es sein, dass der Anwalt nicht übermäßig motiviert ist und als „Verurteilungsbegleiter“ agiert. M.a.W.: der Angeklagte wird schnell und effektiv verurteilt und es wird nicht so ein großer Aufwand betrieben. Praktisch aus Sicht der Justiz und Polizei: bei den ersten Vernehmungen muss nicht zwingend ein Anwalt dabei sein. Dann hat man sozusagen für den späteren Prozess schon das Geständnis in der Akte. Ist das in Ordnung? Ja und nein! So kann es ja sein, dass der Personalausweis gestohlen war und der angebliche Bankräuber gar nicht die Bank überfallen hatte.

Die Europäische Union will jetzt das gemütliche deutsche Verfahren verändern

Věra Jourová, Kommissarin für Justiz, Verbraucher und Gleichstellung, erläuterte 2016: „Prozesskostenhilfe ist eine grundlegende Voraussetzung für den Zugang zu einer fairen Justiz, auch für die Ärmsten. Wir haben die Verfahrensrechte in den letzten Jahren kontinuierlich ausgebaut. Jeder, der in Europa verdächtigt oder beschuldigt wird, kann auf ein faires Verfahren vertrauen. Das Recht auf einen Anwalt nützt den Bürgern aber nur, wenn sie den Anwalt auch bezahlen können. Deshalb stellt die heutige Entscheidung einen Meilenstein für den europäischen Raum des Rechts und der Grundrechte dar.“

Die Mitgliedstaaten müssen die Richtlinie binnen 30 Monaten nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Union in innerstaatliches Recht umsetzen. Die neuen Rechte gelten ab Mai 2019.

Die neue Richtlinie enthält folgende Garantien:

Rasche Bereitstellung von Prozesskostenhilfe

Prozesskostenhilfe wird spätestens vor einer Befragung insbesondere durch die Polizei bzw. vor bestimmten Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlungen gewährt.

Klare Kriterien für die Gewährung von Prozesskostenhilfe

Die Mitgliedstaaten befinden über den Anspruch auf Prozesskostenhilfe anhand folgender Prüfungen: einer Bedürftigkeitsprüfung (Einkommen und Vermögen des Betroffenen) und/oder einer Begründetheitsprüfung (ob die Prozesskostenhilfe notwendig ist, um angesichts der Fallumstände den Zugang zur Justiz zu garantieren). Für diese Prüfungen enthält die Richtlinie klare Vorgaben.

Bessere Bewilligungsverfahren

Die Richtlinie gewährleistet, dass über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe bedachtsamer entschieden wird und Antragstellern schriftlich die Gründe mitgeteilt werden, wenn ihr Antrag ganz oder teilweise abgelehnt wird. Sie enthält auch Regeln zur Qualitätssicherung und zur Schulung der Personen, die über den Anspruch auf Prozesskostenhilfe entscheiden, sowie zur Schulung der einschlägig tätigen Anwälte. Bei Verstößen gegen die aus dieser Richtlinie erwachsenden Rechte müssen wirksame Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen.

Jetzt gilt also:

bei schlimmen Verdacht muss zuerst ein Anwalt beschafft werden und dann kann die Vernehmung beginnen. Der Anwalt wird vom Staat bezahlt.

Die ohnehin überlastete Justiz wehrt sich in den Stellungnahmen zu dem deutschen Gesetzgebungsverfahren über neue Formvorschriften und möchte möglichst bei dem Verfahren bleiben. Angesichts des zwingenden europäischen Rechts kommt die grundsätzliche Rechtsänderung aber in jedem Fall.

Ab Mai 2019 werden die Karten vor Gericht neu gemischt.

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