Interviewer: Herr Blazek, das Thema Liquiditätsrisiken bei Investmentfonds wird immer wichtiger, vor allem in Krisenzeiten. Könnten Sie uns zunächst erklären, was Liquiditätsrisiken bei kollektiven Anlagevehikeln genau bedeuten?
Daniel Blazek: Selbstverständlich. Liquiditätsrisiken treten auf, wenn ein Fonds nicht in der Lage ist, seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen – sei es, Rücknahmen von Anlegern zu bedienen oder Kosten zu decken, ohne dabei Vermögenswerte unter erheblichen Verlusten zu verkaufen. Besonders in offenen Investmentfonds (OEFs), wo Anleger ihre Anteile oft täglich zurückgeben können, ist die Liquiditätssteuerung essenziell. Wenn viele Anleger gleichzeitig ihre Anteile zurückgeben wollen, wie es beispielsweise während der COVID-19-Krise der Fall war, kann dies zu einer gefährlichen Kettenreaktion führen.
Interviewer: Wie begegnet die IOSCO diesem Problem? Welche zentralen Empfehlungen hat die Organisation herausgegeben?
Daniel Blazek: Die IOSCO hat in ihrem Bericht umfassende Empfehlungen vorgestellt, um Fondsmanagern und Regulierungsbehörden Werkzeuge an die Hand zu geben, Liquiditätsrisiken effektiv zu bewältigen. Diese Empfehlungen umfassen mehrere Bereiche:
Design von Fondsstrukturen:
Fondsmanager müssen sicherstellen, dass die Rücknahmebedingungen eines Fonds zur Liquidität der zugrunde liegenden Vermögenswerte passen. Ein Fonds, der in hoch illiquide Anlagen wie Immobilien oder private Schuldtitel investiert, sollte längere Rücknahmefristen oder spezielle Mechanismen wie Side Pockets nutzen, um Liquiditätsengpässe zu vermeiden.
Einsatz von Liquiditätsmanagement-Tools (LMTs):
Hierzu gehören Swing Pricing, Rücknahmegebühren oder Rücknahmebegrenzungen. Diese Mechanismen schützen verbleibende Anleger vor Verwässerungseffekten und tragen dazu bei, den Fonds vor einem „Run“ zu schützen, bei dem plötzlich massive Rücknahmen erfolgen.
Regelmäßige Stresstests:
Fondsmanager sollten Stresstests durchführen, um die Liquidität des Portfolios in unterschiedlichen Szenarien zu bewerten – beispielsweise bei Marktstress, hohen Rücknahmen oder sinkender Liquidität von Vermögenswerten.
Governance und Transparenz:
Es ist entscheidend, dass Fondsmanager klare interne Kontrollmechanismen haben und Anleger über ihre Liquiditätsstrategie sowie den Einsatz von LMTs offen informieren.
Anpassung an die Marktstruktur:
Die IOSCO empfiehlt, dass Fonds, die weniger liquide Vermögenswerte halten, flexiblere Rücknahmebedingungen haben. Das könnte z. B. bedeuten, dass Rücknahmen nur quartalsweise möglich sind.
Interviewer: Wie sollten Fondsmanager in der Praxis mit diesen Empfehlungen umgehen?
Daniel Blazek: Fondsmanager sollten zunächst die Liquiditätsmerkmale ihrer Portfolios genau analysieren und ihre Rücknahmebedingungen entsprechend gestalten. Es ist ratsam, proaktiv mit Anti-Dilution-Mechanismen wie Swing Pricing zu arbeiten, bei denen die Kosten für Rücknahmen teilweise auf die zurücknehmenden Anleger übertragen werden. Außerdem sollten Fonds klare Richtlinien für den Einsatz von LMTs haben und diese regelmäßig überprüfen.
Darüber hinaus ist eine enge Zusammenarbeit mit den Regulierungsbehörden wichtig, um sicherzustellen, dass alle Vorschriften eingehalten werden. Eine gründliche Schulung der Fondsmanager und Mitarbeiter ist ebenfalls unerlässlich, um Liquiditätsrisiken zu minimieren.
Interviewer: Welche Rolle spielen die Regulierungsbehörden in diesem Kontext?
Daniel Blazek: Die Regulierungsbehörden haben eine doppelte Verantwortung. Einerseits müssen sie sicherstellen, dass Fondsmanager die empfohlenen Maßnahmen implementieren und regelmäßig überwachen. Andererseits sollten sie selbst aktiv werden, indem sie klare Richtlinien für Liquiditätsmanagement-Tools herausgeben und deren Anwendung fördern.
Die IOSCO betont auch die Notwendigkeit, die internationale Zusammenarbeit zu stärken. Fonds operieren oft über Landesgrenzen hinweg, und unterschiedliche regulatorische Anforderungen können die effektive Verwaltung von Liquiditätsrisiken erschweren. Gemeinsame Standards würden hier für mehr Klarheit sorgen.
Interviewer: Was sind die größten Herausforderungen bei der Umsetzung dieser Empfehlungen?
Daniel Blazek: Eine der größten Herausforderungen ist die Balance zwischen Anlegerinteressen und Fondsstabilität. Anleger schätzen Flexibilität, möchten aber gleichzeitig Sicherheit. Fondsmanager müssen oft gegen kurzfristige Renditeziele arbeiten und sicherstellen, dass ihre Liquiditätsstrategien robust genug sind, um in Krisenzeiten standzuhalten.
Zudem ist die Kommunikation mit den Anlegern entscheidend. Neue Mechanismen wie Swing Pricing oder Rücknahmebegrenzungen könnten auf Skepsis stoßen. Hier ist es wichtig, die Vorteile solcher Maßnahmen transparent zu machen und Vertrauen aufzubauen.
Interviewer: Was können Anleger tun, um sich selbst vor Liquiditätsproblemen bei Fonds zu schützen?
Daniel Blazek: Anleger sollten sich vor einer Investition gründlich über die Liquiditätsstrategie eines Fonds informieren. Dazu gehört ein Blick auf die Rücknahmebedingungen und die Arten der Vermögenswerte, in die investiert wird. Fonds, die in illiquide Vermögenswerte investieren, bergen naturgemäß höhere Liquiditätsrisiken.
Zudem sollten Anleger auf Diversifikation setzen, um das Risiko zu streuen. Ein Mix aus liquiden und weniger liquiden Anlagen kann helfen, das Portfolio robuster zu machen. Und schließlich: Anleger sollten einen langfristigen Anlagehorizont verfolgen und sich nicht von kurzfristigen Marktschwankungen verunsichern lassen.
Interviewer: Können Sie uns ein Beispiel geben, wie diese Empfehlungen in der Praxis umgesetzt wurden?
Daniel Blazek: Ein gutes Beispiel ist der Einsatz von Swing Pricing in einigen europäischen Fonds während der COVID-19-Krise. In einer Phase hoher Marktschwankungen haben diese Fonds die Kosten für Rücknahmen angepasst, um verbleibende Anleger zu schützen. Diese Maßnahme hat dazu beigetragen, die Stabilität der Fonds zu bewahren und Liquiditätsengpässe zu vermeiden.
Ein anderes Beispiel ist die Einführung von Rücknahmebegrenzungen in Immobilienfonds, die in Zeiten hoher Volatilität verhindern, dass Fondsmanager gezwungen werden, Vermögenswerte unter Wert zu verkaufen.
Interviewer: Abschließend, was wünschen Sie sich für die Zukunft im Bereich Liquiditätsmanagement?
Daniel Blazek: Ich wünsche mir eine stärkere internationale Harmonisierung der Regulierungen, eine verbesserte Anlegerbildung und eine breitere Akzeptanz von Liquiditätsmanagement-Tools. Wenn Fondsmanager, Regulierungsbehörden und Anleger zusammenarbeiten, können wir ein stabileres und widerstandsfähigeres Finanzsystem schaffen, das sowohl Krisen übersteht als auch den Bedürfnissen der Anleger gerecht wird.
Interviewer: Vielen Dank, Herr Blazek, für die ausführlichen und informativen Antworten.
Daniel Blazek: Vielen Dank, es hat mich gefreut!