Das Internet weiß mehr über uns, als uns lieb ist – und genau das bringt immer mehr Menschen dazu, ihre digitale Präsenz einzuschränken oder sogar ganz zu löschen. Ob aus Angst vor Identitätsdiebstahl, Datenschutzbedenken oder persönlichen Sicherheitsrisiken – der Trend zur digitalen Zurückhaltung wächst.
Von Vorsicht zu absoluter Unsichtbarkeit
Anita Smith (Name geändert) hat sich schon immer genau überlegt, was sie online preisgibt. Doch nach einer toxischen Beziehung, die in Stalking mündete, zog sie drastische Konsequenzen: Sie löschte nahezu ihre gesamte Online-Existenz.
„Ich habe meine alten Instagram-Accounts entfernt, die Standortdaten aus Posts gelöscht und alles auf ein Minimum reduziert“, erzählt sie. Selbst auf LinkedIn nutzt sie nicht mehr ihren vollständigen Namen.
Ihr Facebook-Account existiert noch, wird aber einmal im Jahr gründlich „gereinigt“. „Ich prüfe, welche Bilder sichtbar sind, wo ich getaggt wurde und ob ich überhaupt noch gefunden werden kann.“
Neben persönlichen Gründen spielt für Smith aber noch ein anderer Faktor eine Rolle: die Nutzung von Online-Daten durch künstliche Intelligenz (KI).
„Ich verfolge die Entwicklungen rund um KI genau und weiß, dass viele Bilder für das Training von Algorithmen verwendet werden – oft ohne klare ethische Richtlinien. Das ist einer der Hauptgründe, warum ich niemals Bilder meines Kindes ins Netz stellen würde.“
Datenschutzbedenken: Wachsende Skepsis gegenüber Unternehmen
Eine aktuelle Statista-Studie zeigt:
🔹 39 % der Befragten sorgen sich um die Nutzung ihrer Daten durch Unternehmen.
🔹 26 % nutzen bereits ein VPN, um ihre Online-Spuren zu verwischen.
„Die Menschen unterschätzen oft, wie wertvoll ihre Daten sind“, sagt Vytautas Kaziukonis, CEO des Sicherheitssoftware-Unternehmens Surfshark. „Was heute harmlos erscheint, kann in zehn Jahren Probleme bereiten – sei es durch neue Gesetze oder politische Veränderungen.“
Zudem erleichtern persönliche Informationen aus dem Netz Betrug und Identitätsdiebstahl. Besonders besorgniserregend: KI kann Stimmen und Gesichter täuschend echt nachahmen. Wenn Kriminelle dazu noch auf persönliche Details aus sozialen Netzwerken zugreifen, entsteht eine gefährliche Kombination.
„Das Internet ist der Wilde Westen“, warnt Kaziukonis.
Wie kann man seine digitale Spur minimieren?
💡 Praktische Tipps für mehr Online-Privatsphäre:
✔ Keine Adresse oder sensible Daten teilen – selbst ein Foto mit einem Laptop im Hintergrund kann verräterische Informationen enthalten.
✔ Mehrere E-Mail-Adressen verwenden – für unterschiedliche Zwecke, um Spam und Tracking zu reduzieren.
✔ Cookies regelmäßig löschen – viele Websites speichern unbemerkt Daten.
✔ VPN und Cookie-Blocker nutzen – um den eigenen digitalen Fußabdruck zu minimieren.
✔ Recht auf Datenlöschung nutzen – Unternehmen müssen laut Datenschutzgesetzen gespeicherte Daten auf Anfrage entfernen.
„Viele Leute sagen: ‚Ich habe nichts zu verbergen‘ – aber würden sie wirklich jede private E-Mail veröffentlichen? Wir haben Vorhänge in unseren Wohnungen, weil wir Privatsphäre wollen. Das ist menschlich.“ – Vytautas Kaziukonis
Wenn Online-Sichtbarkeit zum Sicherheitsrisiko wird
Amanda Unterreiner, Produktmanagerin beim US-Datenlöschdienst DeleteMe, berichtet von prominenten Kunden wie Richtern und Politikern, die ihre Adresse und persönliche Daten entfernen lassen, um sich vor möglichen Angriffen zu schützen.
„Besonders nach dem Mord an United Healthcare-CEO Brian Thompson Anfang des Jahres haben viele Menschen realisiert, wie wichtig Datenschutz sein kann“, sagt sie.
Ihr Unternehmen bietet sogar an, Häuser in Google Maps zu verpixeln, um neugierige Blicke abzuhalten.
Ein Leben mit weniger Online-Spuren – Fluch oder Segen?
Natürlich hat ein zurückhaltender Umgang mit sozialen Medien auch seine Schattenseiten.
„Ich vermisse es, alte Freunde auf Facebook zu sehen oder mal schnell jemanden zu kontaktieren“, sagt Smith.
Dennoch überwiegen für viele die Vorteile: Mehr Kontrolle, weniger Spam und ein geringeres Risiko, Opfer von Betrug oder Stalking zu werden.
Während die Online-Welt immer mehr Daten sammelt, scheint sich eine neue digitale Bewegung zu formieren: die Kunst des bewussten Verschwindens