Ob auf Social Media oder Bewertungsportalen – wer andere im Netz kritisiert, muss sich an Regeln halten. Unser Knigge für Onlinekritik klärt, wann Kommentare in sozialen Medien den Job kosten können und wo bei Arzt-, Shop- oder Restaurantbewertungen das Recht auf freie Meinungsäußerung endet.
Anonym die eigene Wut loswerden – das ist verlockend
Haben Sie sich auch schon mal über Ihre Chefin aufgeregt und hätten ihr gerne die Meinung gesagt? Bewertungsportale und Social-Media-Plattformen im Internet scheinen dafür gerade recht zu kommen. Nicht nur die fiese Vorgesetzte, auch ein unsensibler Arzt oder einfach ein schlechtes Restaurant können dort kritisiert werden – das geht auf Bewertungsportalen oft sogar anonym.
Das Internet ist kein rechtsfreier Raum
Hinter negativen Kommentaren und Bewertungen stecken häufig Emotionen wie Wut, Enttäuschung oder das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein. Einfach rauslassen sollten Kunden, Patienten und Beschäftigte ihren Ärger im Netz dennoch nicht. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Es gelten dieselben Regeln wie im echten Leben – etwa beim Ärger im Straßenverkehr. Wer beim Kritisieren über die Stränge schlägt, Lügen verbreitet oder andere beleidigt, macht sich rechtlich angreifbar.
Die Meinungsfreiheit hat Grenzen
Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist im Artikel 5 des Grundgesetzes verankert. Jeder darf seine Meinung vertreten – auch im Internet. Prinzipiell erlaubt sind deshalb auch überspitzte Äußerungen wie „Die Produkte sind meiner Ansicht nach Billigschrott“ oder „Der Kundenservice ist anscheinend da, um Kunden zu verprellen“. Beleidigungen, Verleumdungen und falsche Tatsachenbehauptungen sind aber nicht geschützt.
Im Netz fehlt die soziale Kontrolle
Wissenschaftler beobachten, dass die Hemmschwelle für solche grenzwertigen Äußerungen im Internet niedriger ist als im echten Leben. Wolfgang Schweiger, Professor für Onlinekommunikation an der Universität Hohenheim in Stuttgart, sagt: „Durch die Anonymität fehlt im Internet die soziale Kontrolle. Diese hält Menschen im unmittelbaren Kontakt zueinander meist davon ab, sich beispielsweise zu beschimpfen oder zu bedrohen.“
Vorsicht bei Tatsachenbehauptungen
Doch es sind nicht nur Extremfälle wie Beleidigungen oder Verleumdungen, die juristische Folgen nach sich ziehen können. Auch bei scheinbar harmloser Kritik gibt es Fallen. Insbesondere dann, wenn Kritisierende leichtfüßig Tatsachen behaupten. Angreifbar sind diese, wenn die Person sie nicht beweisen kann oder der Inhalt schlichtweg falsch ist.
Beispiel: „Mir schmeckte die Pizza etwas fade“ ist eine Meinungsäußerung und erlaubt. Wird daraus aber „Das Restaurant serviert Tiefkühlpizza“, handelt es sich um eine unwahre Tatsachenbehauptung, wenn die Pizza hausgemacht ist.
Die Grenze zwischen Meinung und Behauptung verläuft oft in Grauzonen. Was zulässig ist, hängt deshalb stark vom Einzelfall ab. Kritisierende sollten daher unbedingt auf Nummer sicher gehen und nichts schreiben, was sie nicht beweisen können. Wer Lügen verbreitet, riskiert schnell seine Anonymität. Bewertungsportale müssen unter Umständen auch Nutzerdaten herausgeben.
Unfaire Behauptungen werden teuer
Hat der Urheber einer unwahren Tatsachenbehauptung Glück, löscht das Portal diese einfach. Nicht so glimpflich geht die Verbreitung einer Lüge aus, wenn der Betroffene anwaltlich gegen den Verfasser vorgeht. Alexander Bredereck, Fachanwalt für Arbeitsrecht, sagt: „Der Adressat kann Löschung und Unterlassung verlangen. Die Kosten dafür können die Anwälte beim Verfasser der Behauptung geltend machen. Richtig teuer wird es, wenn es noch zum Prozess kommt.“ Sind dem Bewerteten durch eine unwahre Tatsachenbehauptung nachweislich finanzielle Schäden entstanden, könnte er dafür sogar Schadenersatz fordern. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ihm durch eine unwahre Behauptung nachweislich Kunden ausbleiben und damit der Umsatz sinkt.
Inhalte können sogar strafbar werden
Schlimmer noch als die Behauptung falscher Tatsachen ist die Verbreitung strafbarer Inhalte. Strafbar macht sich beispielsweise, wer andere beleidigt oder verleumdet.
Beispiel: In Nordrhein-Westfalen hatte ein Auszubildender auf Facebook seinen Arbeitgeber aus der IT-Branche unter anderem als „Menschenschinder“ und „Ausbeuter“ bezeichnet. Sein Chef kündigte ihm daraufhin fristlos, wogegen der Azubi klagte. Das Landesarbeitsgericht Hamm hielt die fristlose Kündigung nicht nur für gerechtfertigt, sondern auch den Tatbestand der Beleidigung für erfüllt. Und das, obwohl der Auszubildende seine Firma nicht mal namentlich nannte, sondern lediglich von seinem „Arbeitgeber“ sprach (Az. 3 Sa 644/12).
Wer solche Straftaten begeht, verletzt die Ehre eines anderen. Es handelt sich um sogenannte Antragsdelikte: Nur wenn das Opfer einen Strafantrag stellt, wird gegen den Beschuldigten strafrechtlich vorgegangen.
„Halsabschneider“ ist nicht zulässig
Die grobe Beleidigung des Arbeitgebers stellt außerdem einen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Pflichten dar und rechtfertigt eine außerordentliche fristlose Kündigung. Arbeitnehmer sind zwar berechtigt, Kritik am Arbeitgeber zu äußern, unter Umständen auch überspitzt. Aber grobe schmähende Angriffe, Beleidigungen oder Lügen muss ein Chef nicht hinnehmen. Der Bundesgerichtshof beurteilte beispielsweise die Bezeichnung „Halsabschneider“ für einen Unternehmer in einer Gewerkschaftszeitung als Schmähkritik und damit als unzulässig (Az. VI ZR 204/74). Von Schmähkritik ist die Rede, wenn es nicht mehr um einen Streit in einer Sache geht, sondern nur noch darum, jemanden lächerlich zu machen oder zu beleidigen. Für zulässig haben die Gerichte dagegen bislang die Bezeichnungen „Dummschwätzer“, „Trottel“ und „linke Bazille“ gehalten.
Ärgern im kleinen Kreis geht
Wichtig ist auch, wie viele Leute eine Äußerung hören oder lesen können. Der Azubi aus Bochum hatte beispielsweise die Angaben über seinen Arbeitsplatz in Facebook als öffentliche Profilangaben für jedermann einsehbar gelassen. Generell gilt, dass die Freiheit der Meinungsäußerung in einem „geschützten Raum“ – etwa in einem Chat oder einer geschlossenen Facebook-Gruppe – höher bewertet wird als die auf einer Internetpinnwand oder in öffentlich gestalteten Profilangaben.
Wie lange war die Kritik zu lesen?
Ausschlaggebend kann auch sein, über welchen Zeitraum eine beleidigende Äußerung zu lesen ist. Der Auszubildende hatte seine Angaben mehrere Monate öffentlich einsehbar gelassen. Nach Meinung des Gerichts kann deshalb nicht mehr von einer „augenblicklichen, wenn auch heftig überzogenen Unmutsäußerung“ die Rede sein.
Aufpassen bei Arbeitgeberbewertung
Spezialisierte Bewertungsportale bieten Beschäftigten die Möglichkeit, anonym ihren Arbeitgeber zu bewerten, etwa Kununu.de. Verbieten dürfen Chefs das nicht.
Arbeitnehmer sollten beim Bewerten aber sehr vorsichtig sein, denn es gelten besondere Regeln. Sie dürfen beispielsweise keine Betriebsgeheimnisse verraten oder Loyalitätspflichten verletzen. Arbeitsrechtler Bredereck empfiehlt Zurückhaltung: „Das Verständnis von Loyalität geht in Deutschland sehr weit, nur wenig Betriebliches darf nach außen getragen werden. Wer seinen Arbeitgeber bewerten will, sollte das nur anonym tun.“ Wer gegen diese Regeln verstößt, kann abgemahnt werden. Bei besonders drastischen Pflichtverletzungen droht sogar die fristlose Kündigung.
Beispiel: Als Betriebsgeheimnis wertetedas Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz unter anderem Lieferantendaten, die ein Arbeitnehmer an Dritte weitergegeben hatte. Das hätte er nicht tun dürfen, fand das Gericht und erklärte die fristlose Kündigung für gerechtfertigt (Az. 6 Sa 278/11).
Die Devise: Konstruktiv und sachlich
Grundsätzlich gilt: Niemand muss sich bei gerechtfertigter Kritik Sorgen machen. Wichtig ist, dass sie fair, sachlich und konstruktiv bleibt. Fair ist beispielsweise ein Verbesserungsvorschlag wie „Ich finde, die Deko könnte etwas moderner sein“, aber nicht ein fieser Kommentar wie „Miefiges Restaurant mit altbackener Deko“.
Kritik darf grundsätzlich nicht darauf ausgerichtet sein, dem anderen zu schaden oder sich zu rächen.
Bewertungsportal muss neutral sein
Rechtliche Auseinandersetzungen gibt es immer wieder um die Rolle der Bewertungsportale. Das Arztbewertungsportal Jameda konnte vor dem Bundesgerichtshof (BGH) durchsetzen, dass Ärzte gegen ihren Willen aufgeführt und bewertet werden dürfen (BGH, Az. VI ZR 358/13). Der Bundesgerichtshof weist Bewertungsportalen die Rolle neutraler Informationsmittler zu. Erst wenn ein Portal diese neutrale Rolle verlässt, kann sich ein Arzt gegen sein Profil wehren. Das tat eine Ärztin, in deren kostenfreies Profil Jameda Werbung für einen anderen Arzt einklinkte, der dafür zahlte (BGH, Az. VI ZR 30/17).
Auch dürfen Portale wie Yelp – wo Kunden etwa Hotels oder Restaurants bewerten – Beiträge automatisiert in „empfohlen“ oder „nicht empfohlen“ einstufen. Das entschied im Januar 2020 der BGH. Eine Fitnessstudiobetreiberin hatte geklagt, weil sie die Einteilung willkürlich fand (Az. VI ZR 496/18).
Ärzte bewerten und fair bleiben
Fair bleiben sollten auch Patienten, die ihre Ärzte bewerten. Allerdings dürfen sie einen Arzt namentlich nennen. Das gilt aber nur, wenn es konkret um diese Person geht – und nicht um seine Mitarbeiter.
Erfahrungen dürfen nicht verallgemeinert werden. Wenn eine Ärztin für eine bestimmte Untersuchung nur wenig Zeit hatte, darf es noch lange nicht heißen: „Doktor Meier nimmt sich keine Zeit für ihre Patienten.“ Das wäre eine Behauptung falscher Tatsachen – und keine faire Kritik.
Quelle und mehr: https://www.test.de/Kommentare-in-sozialen-Medien-Die-Grenzen-der-Meinungsfreiheit-4823680-0/