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Interview mit Rechtsanwalt Jens Reime: Ist das ein Schneeballsystem und strafbar?

Tumisu (CC0), Pixabay

Interviewer: Herr Reime, ein Initiator verkauft Genussrechte unter den Ausnahmebestimmungen des Vermögensanlagengesetzes. Er informiert die Anleger jedoch nicht darüber, dass ein Teil des Kapitals dazu genutzt wird, Zinsen und Rückzahlungen an andere Anleger zu leisten – auch wenn diese eigentlich nicht erwirtschaftet wurden. Ist das rechtlich problematisch?

Jens Reime: Ja, das ist nicht nur problematisch, sondern kann strafrechtlich sehr brisant sein. In einem solchen Fall spricht vieles dafür, dass ein sogenanntes Schneeballsystem vorliegt – also ein Modell, bei dem neue Anlegergelder benötigt werden, um alte Anleger auszuzahlen. Das funktioniert nur so lange, wie genug neue Investoren hinzukommen. Wenn dieses System zusammenbricht, verlieren die letzten Anleger ihr Geld.

Interviewer: Welche strafrechtlichen Konsequenzen drohen dem Initiator?

Jens Reime: Es gibt mehrere mögliche strafrechtliche Tatbestände, die hier greifen könnten. Besonders relevant ist Kapitalanlagebetrug nach § 264a StGB. Wer Anleger über wesentliche Umstände täuscht oder sie im Unklaren lässt, kann sich strafbar machen. Zudem könnte Untreue nach § 266 StGB in Betracht kommen, wenn der Initiator pflichtwidrig mit den anvertrauten Geldern umgeht. Falls ein Schneeballsystem vorliegt, käme auch ein Betrug nach § 263 StGB infrage.

Interviewer: Kann man hier auch von einer Verletzung des Vermögensanlagengesetzes sprechen?

Jens Reime: Absolut. Das Vermögensanlagengesetz (VermAnlG) dient dazu, Anleger vor genau solchen intransparenten Finanzkonstruktionen zu schützen. Selbst wenn die Ausnahmebestimmungen genutzt wurden, könnte ein Verstoß gegen § 11 VermAnlG vorliegen, wenn wesentliche Informationen nicht offengelegt wurden. Zudem müsste geprüft werden, ob möglicherweise eine Prospektpflicht nach § 6 VermAnlG bestand und umgangen wurde.

Interviewer: Welche zivilrechtlichen Ansprüche haben betroffene Anleger?

Jens Reime: Betroffene Anleger könnten Ansprüche auf Schadensersatz wegen arglistiger Täuschung (§ 826 BGB) oder wegen einer Verletzung von Informationspflichten geltend machen. Außerdem könnte eine persönliche Haftung des Initiators bestehen, insbesondere wenn nachweisbar ist, dass er die Anleger vorsätzlich getäuscht hat.

Interviewer: Was empfehlen Sie betroffenen Anlegern?

Jens Reime: Anleger sollten sich schnellstmöglich rechtlich beraten lassen und prüfen, ob sie ihre Einlage zurückfordern können. Wenn ein strafbarer Sachverhalt vorliegt, kann auch eine Strafanzeige sinnvoll sein. Außerdem sollten sich betroffene Anleger zusammenschließen, um gemeinsam vorzugehen – das erhöht die Durchsetzungschancen.

Interviewer: Herr Reime, vielen Dank für das Gespräch!

Jens Reime: Sehr gerne.

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