Es war einmal in der prächtigen Stadt Leipzig, da erhoben sich zwei glanzvolle Türme am Ufer des Karl-Heine-Kanals, umgeben von einem mächtigen Zaun. Diese Türme waren nicht aus gewöhnlichem Stein gebaut, sondern schimmerten in einem besonderen Rostbraun, das an die längst vergangene Industriezeit des Westens erinnern sollte. Sie trugen den stolzen Namen „Hafen 1“ und wurden von ihrem Erbauer, dem großen Meister Thamm & Partner, als wahre Kunstwerke erschaffen. Doch obwohl sie mit Preisen überhäuft und von Fachleuten gepriesen wurden, blieben sie seltsam leer. Kein einziger Mensch zog in sie ein. So begann das Märchen der verzauberten Türme.
Die Geburt der Türme und der erste Fluch
Die Türme wurden im Jahre 2021 fertiggestellt, und ihr Anblick war atemberaubend. Mit hohen Lofts und weißen Balkonvorhängen, die wie Schleier im Wind wehten, waren sie das Gesprächsthema der gesamten Nachbarschaft. „Ein Meisterwerk!“, riefen die Gelehrten. „Ein Denkmal der Baukunst!“, sagten die Ältesten. Doch unter den einfachen Leuten gab es Gerüchte. „Verflucht sind diese Türme“, flüsterten sie. „Wer sie betritt, muss einen hohen Preis zahlen.“
Man munkelte, dass die Stadt selbst den Fluch beschworen hatte, als sie das kostbare Land am Wasser für nur zwei Millionen Goldtaler an Thamm & Partner verkaufte. Denn eigentlich hätten hier Sozialwohnungen entstehen sollen, doch eine mysteriöse Macht, genannt „Der Freistaat“, hatte ihre magische Unterstützung im letzten Moment zurückgezogen. So kam es, dass kein armer Mensch je in die Nähe der Türme durfte.
Der Bann des ewigen Leerstands
Nachdem die Türme fertig waren, legte sich ein merkwürdiger Zauber über sie. Ein hoher Zaun wurde errichtet, und seltsame Apparaturen, die wie Augen leuchteten, überwachten das Gelände. Drei Jahre lang standen die Wohnungen leer, während die Nachbarn tuschelten und mit den Köpfen schüttelten. „Das sind keine Türme, das sind Denkmäler der Habgier“, murrten sie. Doch der große Meister Thamm & Partner ließ sich nicht beirren. „Diese Türme sind für eine besondere Art von Bewohnern bestimmt“, verkündete er geheimnisvoll.
Die Wahrheit war jedoch eine andere. Es stellte sich heraus, dass die Türme nicht fertiggestellt waren – kleine Baumängel hatten den Zauber behindert. Es dauerte bis zum Jahr 2022, bis die Makel behoben waren. Doch kaum war das Problem gelöst, fiel ein neues Unglück über das Land: Der große Markt der Immobilien geriet ins Wanken, und niemand wollte die teuren Türme kaufen. Die Banken verschlossen ihre Schatztruhen, und die Türme blieben weiterhin verlassen.
Die Prophezeiung der hohen Miete
Doch Meister Thamm war nicht bereit, aufzugeben. „Wenn niemand diese Türme kaufen will, dann werden wir sie vermieten!“ So sprach er, und schon bald tauchten seltsame Pergamente auf, auf denen die Mieten geschrieben standen. „18 Goldstücke pro Quadratmeter Kaltmiete“, verkündeten die Pergamente, und alle, die es lasen, schluckten schwer. Eine kleine Wohnung würde 1360 Goldstücke im Monat kosten, während die prächtige Dachwohnung mit Blick auf den Kanal stolze 3077 Goldstücke verschlingen würde. „Das ist nicht für uns gemacht“, murmelten die Leute und schüttelten die Köpfe.
Doch Thamm & Partner waren überzeugt, dass die Ausstattung und die Lage der Türme diese Preise rechtfertigten. „Unsere Türme sind ein Traum“, riefen sie. Und vielleicht war das auch wahr – nur ein Traum eben, den sich kaum jemand leisten konnte.
Das Ende des Fluches?
Dann, eines kalten Januarmorgens im Jahre 2025, verkündeten die Boten des Meisters eine große Neuigkeit: „Der Zaun um die Türme wird am 1. März entfernt!“ Die Nachbarn staunten. „Ist der Fluch etwa gebrochen?“, fragten sie sich. „Wird Leben in die Türme einziehen?“ Doch viele waren skeptisch. „Die Mieten sind so hoch, dass sie sich nur die Prinzen und Prinzessinnen aus fernen Königreichen leisten können.“
Der 1. März rückte näher, und die Türme warteten darauf, dass endlich Bewohner ihre hallenden Räume füllen würden. Vielleicht würden sich eines Tages mutige Helden finden, die bereit waren, den hohen Preis zu zahlen. Vielleicht würde die Geschichte der Türme eines Tages doch noch ein glückliches Ende finden.
Bis dahin aber blieben die verzauberten Türme am Hafen ein Mahnmal. Ein Mahnmal für die Macht des Goldes und die Träume, die es weckt – und manchmal zerbricht.
Und die Moral von der Geschicht’?
Manche Türme sehen schön aus, doch in ihnen wohnen will man nicht.