Interviewer: Frau Bontschev, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben. Wir sprechen heute über Allvest, das Anlageprodukt der Allianz, das eine Kombination aus Sicherheit und Renditechancen verspricht. Wie bewerten Sie das Angebot aus rechtlicher und anlegerbezogener Sicht?
Kerstin Bontschev: Vielen Dank für die Einladung. Allvest ist auf den ersten Blick ein interessantes Anlageprodukt, das sich sowohl an sicherheitsbewusste als auch an renditeorientierte Anleger richtet. Allerdings gibt es mehrere Aspekte, die potenzielle Investoren kritisch betrachten sollten, insbesondere in Bezug auf die Sicherheit der Anlage, die Flexibilität und die Kostenstruktur. Man darf nicht vergessen, dass auch ein etabliertes Unternehmen wie die Allianz keine Garantie auf künftige Marktentwicklungen oder Renditen geben kann.
Interviewer: Ein zentraler Bestandteil von Allvest ist das wählbare Garantieniveau. Wie schätzen Sie diesen Aspekt ein?
Kerstin Bontschev: Allvest bietet ein Garantieniveau von 60 %, 80 % oder 90 % der Einzahlungen, was für sicherheitsorientierte Anleger attraktiv erscheint. Je höher das Garantieniveau, desto sicherer ist die Anlage – allerdings geht das immer auf Kosten der Renditechancen. Wer sich für ein höheres Garantieniveau entscheidet, investiert weniger in ETFs oder Fonds, was die Ertragschancen mindert. Es handelt sich also um einen klassischen Trade-off zwischen Sicherheit und Rendite. In der Praxis bedeutet das: Je höher die garantierte Sicherheit, desto geringer ist die Aussicht auf eine überdurchschnittliche Rendite.
Interviewer: Allvest bietet für den „Sicherheitsbaustein“ eine Verzinsung von derzeit 4,3 % p.a. an. Ist das nicht im aktuellen Niedrigzinsumfeld sehr attraktiv?
Kerstin Bontschev: Ja, das klingt zunächst sehr gut, besonders im Vergleich zu anderen Produkten auf dem Markt. Aber es gibt einen wichtigen Punkt zu beachten: Diese Verzinsung ist nur für die ersten vier Jahre garantiert. Danach sinkt sie auf 3,8 % p.a., und diese Zinssätze sind nicht garantiert, sondern basieren auf den Überschussanteilen der Allianz. Das bedeutet, dass sie abhängig von der wirtschaftlichen Lage auch niedriger ausfallen können. Anleger sollten sich daher bewusst sein, dass die Verzinsung langfristig unsicher ist. Dies stellt ein nicht unerhebliches Risiko dar, insbesondere für diejenigen, die auf stabile Erträge angewiesen sind.
Interviewer: Ein weiteres Argument, mit dem Allvest wirbt, sind die steuerlichen Vorteile einer Rentenversicherung. Wie sehen Sie das?
Kerstin Bontschev: Steuerliche Vorteile sind sicherlich ein Pluspunkt, und für einige Anleger könnte dies ein ausschlaggebender Faktor sein. Rentenversicherungen werden in der Regel steuerlich begünstigt, was in bestimmten Fällen vorteilhaft sein kann. Allerdings müssen Anleger auch die langfristige Bindung an das Produkt berücksichtigen. Die steuerlichen Vorteile bringen oft Einschränkungen in der Flexibilität mit sich, da diese Produkte auf langfristige Verträge ausgelegt sind. Anleger sollten daher nicht allein auf die Steuervorteile schauen, sondern das gesamte Paket und ihre individuellen Bedürfnisse in Betracht ziehen.
Interviewer: Ein kritischer Punkt bei vielen Anlageprodukten sind die Kosten. Wie transparent ist Allvest in dieser Hinsicht?
Kerstin Bontschev: Hier liegt ein Hauptproblem. Allvest wirbt zwar mit dem Argument, dass es durch die Digitalisierung kostengünstig sei, aber es gibt keine detaillierte und transparente Darstellung der tatsächlichen Kostenstruktur auf der Website. Es bleibt unklar, welche Verwaltungsgebühren für die ETFs und Fonds anfallen und wie hoch die Kosten für das Sicherheitsmanagement durch die Allianz sind. Versteckte oder nicht vollständig kommunizierte Gebühren können die Rendite erheblich schmälern, insbesondere bei langfristigen Verträgen. Anleger sollten die genauen Kosten erfragen und in ihre Entscheidung einbeziehen, um böse Überraschungen zu vermeiden.
Interviewer: Ein weiterer Kritikpunkt ist die langfristige Bindung. Der Garantietermin muss mindestens 12 Jahre in der Zukunft liegen. Welche Auswirkungen hat das für Anleger?
Kerstin Bontschev: Die lange Laufzeit, die Allvest vorschreibt – mindestens 12 Jahre bis zum Garantietermin – ist ein signifikanter Faktor. Diese Zeiträume bieten der Allianz Planungssicherheit, schränken aber gleichzeitig die Flexibilität der Anleger massiv ein. Auch wenn Ein- und Auszahlungen jederzeit möglich sind, bedeutet die feste Bindung an den Vertrag, dass Anleger über Jahre hinweg an das Produkt gebunden bleiben, auch wenn sich ihre persönlichen oder finanziellen Umstände ändern. Das ist insbesondere für Anleger problematisch, die in der Zwischenzeit auf ihr Kapital zugreifen müssen oder eine flexible Anlage bevorzugen.
Interviewer: Das Anlagekonzept von Allvest kombiniert verschiedene Bausteine und Anlagestrategien. Welche Herausforderungen sehen Sie in dieser Komplexität?
Kerstin Bontschev: Die Kombination aus Sicherheits- und Renditebaustein, den verschiedenen Garantieniveaus und den Anlagestrategien macht das Produkt relativ komplex. Für erfahrene Anleger mag das kein Problem darstellen, aber weniger erfahrene Investoren könnten Schwierigkeiten haben, die tatsächlichen Risiken und Chancen richtig einzuschätzen. Diese Komplexität könnte dazu führen, dass Anleger nicht die optimalen Entscheidungen für ihre finanzielle Situation treffen, was letztendlich die erwartete Rendite beeinträchtigen könnte. Es besteht die Gefahr, dass sie das Risiko unterschätzen oder ihre Strategie nicht an die Marktentwicklung anpassen.
Interviewer: Wie schätzen Sie das Risikoprofil von Allvest ein, insbesondere im Hinblick auf die passiven und aktiven Anlagestrategien?
Kerstin Bontschev: Das Risikoprofil hängt stark von der gewählten Strategie ab. Passive Anlagestrategien, die auf ETFs setzen, bieten eine gewisse Marktstabilität, da sie den breiten Markt abbilden. Allerdings können diese Strategien in schwachen Marktphasen auch zu geringeren Renditen führen. Aktive Strategien bieten theoretisch höhere Chancen auf Überrenditen, sind aber oft teurer und riskanter, da sie stärker von den Entscheidungen der Fondsmanager abhängig sind. Anleger sollten sich darüber im Klaren sein, dass es keine Garantie für eine Überrendite gibt, auch wenn das Produkt von Allianz-Experten gemanagt wird. Beide Anlagestrategien bergen also Risiken, die je nach Marktentwicklung unterschiedlich ausfallen können.
Interviewer: Zum Abschluss: Welche Empfehlungen geben Sie Anlegern, die über eine Investition in Allvest nachdenken?
Kerstin Bontschev: Ich rate potenziellen Investoren, sich gründlich mit den Details von Allvest auseinanderzusetzen. Es handelt sich um ein innovatives und potenziell vorteilhaftes Produkt, aber die langfristige Bindung, die Intransparenz bei den Kosten und die möglichen Risiken durch die Marktentwicklung sollten nicht unterschätzt werden. Anleger sollten auch ihre eigene Risikobereitschaft und ihre finanziellen Ziele überprüfen. Es ist ratsam, eine unabhängige Finanzberatung in Anspruch zu nehmen, bevor man eine Entscheidung trifft. Letztlich sollte jeder Anleger sich bewusst sein, dass Sicherheit und hohe Renditen nur schwer miteinander zu vereinen sind, und entsprechend vorsichtig agieren.
Interviewer: Vielen Dank, Frau Bontschev, für diese umfassende und kritische Analyse.
Kerstin Bontschev: Sehr gern.