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Interview mit Rechtsanwältin Kerstin Bontschev: Eine kritische Betrachtung der Enespa AG 5,75% Anleihe

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styles66 (CC0), Pixabay

Redaktion: Frau Bontschev, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, um über die Enespa AG 5,75% Anleihe zu sprechen. Die Anleihe bietet einen Zinssatz von 5,75% pro Jahr, was für viele Anleger attraktiv erscheinen könnte. Was sind Ihre ersten Eindrücke von diesem Angebot?

Kerstin Bontschev: Vielen Dank für die Einladung. Auf den ersten Blick ist der Zinssatz von 5,75% in der Tat verlockend, besonders in einer Zeit, in der die Zinsen allgemein niedrig sind. Allerdings sollten Anleger nicht nur auf die Rendite schauen, sondern auch die damit verbundenen Risiken gründlich prüfen.

Redaktion: Welche Risiken sehen Sie konkret bei dieser Anleihe?

Kerstin Bontschev: Es gibt mehrere Risiken, die Anleger unbedingt berücksichtigen sollten. Erstens ist die finanzielle Lage der Emittentin, der Enespa AG, besorgniserregend. Die Bilanz zeigt per 31.12.2022 eine Überschuldung, und die finanzielle Stabilität wurde nur durch wiederholte Kapitaleinlagen der Muttergesellschaft aufrechterhalten. Der Jahresverlust für 2023 betrug über CHF 1,6 Millionen, und das Eigenkapital ist nur durch externe Einlagen positiv geblieben. Diese finanzielle Instabilität stellt ein erhebliches Risiko dar.

Redaktion: Neben der finanziellen Instabilität sprechen Sie auch von Abhängigkeiten innerhalb der Unternehmensgruppe. Können Sie das näher erläutern?

Kerstin Bontschev: Die Enespa AG ist stark abhängig von den Erträgen aus Darlehen, die sie an andere Unternehmen innerhalb der Gruppe vergibt. Sollte es bei diesen Gruppengesellschaften zu Problemen kommen, könnte dies die Fähigkeit der Enespa AG beeinträchtigen, Zinsen zu zahlen oder das eingesetzte Kapital zurückzuzahlen. Diese Abhängigkeit erhöht das Risiko für die Anleger erheblich.

Redaktion: Wie steht es um die Sicherheit der Anleihe selbst?

Kerstin Bontschev: Ein weiterer kritischer Punkt ist, dass die Anleihe ungesichert ist. Das bedeutet, dass im Falle einer Insolvenz der Emittentin keine Sicherheiten vorhanden sind, auf die die Anleger zurückgreifen könnten. In solch einem Fall besteht das Risiko eines Totalverlustes des investierten Kapitals. Zudem wird die Anleihe nicht an einem geregelten Markt gehandelt, was ein erhebliches Liquiditätsrisiko darstellt. Anleger könnten Schwierigkeiten haben, die Anleihe vor Fälligkeit zu verkaufen.

Redaktion: Trotz dieser Risiken könnte das nachhaltige Geschäftsmodell der Enespa AG im Bereich des chemischen Recyclings für einige Anleger interessant sein. Wie bewerten Sie das?

Kerstin Bontschev: Das Geschäftsmodell der Enespa AG, das sich auf das chemische Recycling von Kunststoffen und die CO2-neutrale Kreislaufwirtschaft konzentriert, ist zweifellos zukunftsorientiert und spricht Investoren an, die in nachhaltige Projekte investieren möchten. Allerdings hängt der Erfolg dieses Modells stark von externen Faktoren wie gesetzlichen Rahmenbedingungen und technologischen Entwicklungen ab. Sollten sich diese ändern, könnte das negative Auswirkungen auf die Erträge der Emittentin haben.

Redaktion: Was raten Sie potenziellen Anlegern, die eine Investition in Erwägung ziehen?

Kerstin Bontschev: Potenzielle Anleger sollten sich bewusst sein, dass diese Anleihe mit erheblichen Risiken verbunden ist. Wer eine Investition in Betracht zieht, sollte die eigene Risikobereitschaft sorgfältig abwägen und nur Kapital investieren, dessen Verlust verkraftbar wäre. Ich empfehle dringend, den gesamten Prospekt gründlich zu prüfen und gegebenenfalls eine persönliche finanzielle Beratung in Anspruch zu nehmen, um eine fundierte Entscheidung treffen zu können.

Redaktion: Frau Bontschev, vielen Dank für Ihre Einschätzungen und Ratschläge.

Kerstin Bontschev: Es war mir eine Freude, vielen Dank.

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