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Begeno16 eG – Genossenschaft ohne Mitspracherecht?

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AKuptsova / Pixabay

Auch wenn der Ruf der Genossenschaften in letzter Zeit durch dubiose Anbieter etwas angeknackst ist, so bleibt das Konzept gerade in Zeiten steigender Mieten reizvoll. Leider nutzen das so manche Anbieter aus und bieten Konditionen, die dem Genossenschaftsgedanken widersprechen. Überlegen Sie sich also genau, wieviel Ihnen eine eigene Wohnung wert ist. Wollen Sie auf Ihr Recht der Mitbestimmung verzichten?

Genossenschaftlich wohnen

An einem sonnigen Augu­stabend 2019 versammeln sich Julia Schreiber* und ihr Freund mit Familien, Pärchen und Einzel­personen vor einem Bauzaun zwischen einer Grund­schule und einer Kleingarten­anlage in Berlin-Weißensee. Dahinter entsteht das „Quartier Wir“ der Baugenossenschaft „Besser Genossenschaftlich Wohnen von 2016“ eG aus Berlin. Mitarbeiter beant­worten Fragen und führen die rund zwei Dutzend Interes­senten später durch die Baustelle.

Lebens­langes Wohn­recht, güns­tige Mieten

Schreiber und ihr Freund wollen zusammenziehen, seit 2016 suchen sie zunehmend frustriert nach einer Bleibe, wie viele andere Wohnungs­suchende in Groß­städten. Eine Wohnung in einer Genossenschaft würde dem Paar besonders zusagen. Die Vorteile: Wer einzieht, darf lebens­lang bleiben. Kündigt sich Nach­wuchs an, trennt sich ein Paar oder wird eine barrierefreie Wohnung nötig, bekommen lang­jährige Genossen oft den Vorzug, wenn etwas Passendes frei wird. Das monatliche Nutzungs­entgelt ist in der Regel moderat im Vergleich zu Mieten ähnlicher Wohnungen. Die Begeno16 setzt für ihren Neubau in Berlin 11 Euro pro Quadrat­meter plus Neben­kosten im Monat an.

Mitglied werden ist einfach

Interes­senten treten einer Genossenschaft bei. Schreiber hat das bereits zweimal getan: Bei der bbg Berliner Baugenossenschaft eG zahlte sie 50 Euro Eintritts­geld plus 400 Euro für zwei Anteile. Die Genossenschaft Beamten-Wohnungs-Verein zu Berlin eG (BWV) verlangte 200 Euro Eintritts­geld und 650 Euro für einen Anteil. Beide Genossenschaften sind mehr als 120 Jahre alt und groß. Wer eine der jeweils mehr als 7 000 Wohnungen ergattert, muss weitere Anteile über­nehmen. Bei der bbg sind es je nach Größe drei beziehungs­weise acht weitere für je 200 Euro, bei der BWV einer für 650 Euro. Scheiden Genossen aus, erhalten sie den dann aktuellen Wert ihrer Anteile ausbezahlt. Oft entspricht er dem einge­zahlten Betrag.

Klassische Genossenschaften: Geringer Einsatz, geringe Chancen

Das ist ein über­schaubarer Einsatz für die Chance auf eine ordentliche Wohnung in einer der bundes­weit mehr als 2 000 Genossenschaften, die seit dem 19. Jahr­hundert entstanden sind. Die Wartelisten sind oft lang. Die bbg machte Schreiber beim Eintritt 2016 wenig Hoff­nung: „Ich erfuhr, dass ich voraus­sicht­lich zehn Jahre oder noch länger warten muss.“ Ihre beiden Genossenschaften nehmen im Moment nicht einmal mehr Aufnahme­anträge von Interes­senten an.

Genossen dürfen mitbestimmen

Im Vergleich zu Mietern haben Genossen einen weiteren Vorteil: Sie haben Mitspracherechte. Bei kleinen Genossenschaften stimmen sie an den jähr­lichen Versamm­lungen über Angelegenheiten ihrer Genossenschaft selbst ab – wenn sie möchten, etwa über die Verwendung des Gewinns. Bei großen wählen die Mitglieder oft Vertreter, die für sie an den Versamm­lungen teilnehmen. Im September 2019 etwa war Schreiber mit den mehr als 23 000 Mitgliedern der BWV aufgerufen, über die Vertreter bei der BWV unter den Kandidaten zu entscheiden.

Begeno16: „Social Business“ mit besonderen Regeln

Schreiber war neugierig auf die Begeno16 eG, eine kleine, 2016 gegründete Genossenschaft. Sie könnte mit ihrem Partner einziehen, sobald der Bau fertig ist. Von Gemeinschaft und Mitbestimmung ist viel die Rede. Als „Social Business“, wie es Friedens­nobel­preisträger Muhammad Yunus definiere, so stellt sich die Genossenschaft in der Satzung vor. Sie sei „ausschließ­lich auf die Lösung wichtiger sozialer Probleme ausgerichtet“ – durch den Bau und Betrieb „inno­vativer und zukunfts­trächtiger Wohn­formen und Quartiere“. Die bbg und BWV formulieren profaner, dass sie bezahl­baren Wohn­raum bereit­stellen wollen.

Interes­senten müssen viel Geld mitbringen

Das „Quartier Wir“ bietet unter anderem ungewöhnliche „Cluster­wohnungen“, bei denen sich kleine Zimmer mehrerer Bewohner um große Gemein­schafts­flächen gruppieren. Wer einziehen will, muss aber finanziell deutlich mehr beisteuern als bei den alten Genossenschaften. Die 2016 gegründete Begeno16 verfügt noch nicht über ein dickes Kapital­polster für den Bau oder Kauf von Immobilien. Genossenschaften verlangen in dieser Situation vergleichs­weise hohe Pflicht­beiträge von den Nutzern ihrer Wohnungen. Begeno16-Interes­senten müssen wohnungs­bezogene Anteile in Höhe von 500 Euro pro Quadrat­meter zeichnen. Bei 100 Quadrat­metern bringen sie also 50 000 Euro ein.

Bewohner haben kein Stimm­recht

Bei solchen Beträgen wird die Dividende interes­sant, die viele Genossenschaften ausschütten, wenn es gut läuft. Bei der bbg und BWV etwa waren es in den vergangenen Jahren jeweils 4 Prozent pro Jahr für jeden Anteil. Die Begeno16 sieht bei guter Ertrags­lage bis zu 3 Prozent im Jahr pro Anteil vor. Rechnen sollten die Genossen damit aber nicht. Die Begeno16 betont auf ihrer Internetseite, „nicht auf Gewinn­erzielung für eine Ausschüttung an die Mitglieder ausgerichtet“ zu sein.

Zwei Kategorien von Mitarbeitern

Schreiber könnte über die Ausschüttung weder direkt noch über Vertreter mit entscheiden. Die Satzung sieht zwei Kategorien von Mitgliedern vor, nicht nur ordentliche, wie üblich, sondern auch „investierende“. Darunter fallen hier die Bewohner. Sie haben ein Anrecht auf Dividenden, aber kein Stimm­recht. Stimm­rechte haben nur ordentliche Mitglieder, die im Gegen­zug keinen Anspruch auf eine Gewinn­ausschüttung haben und die Wohnungen nicht nutzen dürfen. Warum? Auf der Internetseite erklärt die Begeno16, so sicher­zustellen, dass die Stimm­rechte bestimmter Wohnungs­nutzer­gruppen nicht den Satzungs­zweck „unter­wandern”.

Ordentlich und investierend

Nur ein einge­schränkter Kreis kommt als ordentliches Mitglied infrage: Personen oder Firmen aus dem Bereich eines „Social Business“ oder mit nützlichen Kennt­nissen, etwa aus der Wohnungs­wirt­schaft. Die Begeno16 hat derzeit nach eigenen Angaben zwölf ordentliche Mitglieder, davon drei in wirt­schaftlicher Verbindung zur UTB-Gruppe aus Berlin, die das „Quartier Wir“ baut. Begeno16-Aufsichts­räte müssen ordentliches Mitglied sein. Zwei der drei Aufsichts­räte haben eine Verbindung zu UTB. Vorsitzender ist Thomas Bestgen, Geschäfts­führer der UTB Projektmanagement GmbH, ein weiterer berät die UTB als Partner einer Steuerberatungs­gesell­schaft. Den Begeno16-Vorstand Klaus Boemer nennt die UTB-Internetseite als führenden Mitarbeiter.

Gefahr von Interes­sens­konflikten

Besteht nicht die Gefahr von Interes­senkonflikten bei Geschäften mit UTB-Gesell­schaften oder bei der Auswahl der Baufirmen für weitere Projekte? Wie wahr­scheinlich ist es, dass die Begeno16 andere Projekt­entwickler wählt, wenn eine UTB-Firma den Auftrag gerne hätte? Wie hart vertritt sie die Interessen der Genossen gegen­über der Geschäfts­part­nerin? Begeno16-Vorstand Boemer teilte Finanztest dazu mit: „Interes­sens­konflikte können nur entstehen, wenn es gegen­sätzliche Interessen gibt. Dies ist bei UTB und Begeno16 nicht der Fall.“

„Nicht mit dem Genossen­schafts­gesetz vereinbar“

Auch bei einigen anderen Genossenschaften sind Wohnungs­nutzer nur „investierende Mitglieder“: Die Gründer versprechen sich wirt­schaftliche Vorteile davon, ihre Häuser in Genossenschaften einzubringen und die Bewohner als „Mitglieder“ aufzunehmen. Sie gewähren ihnen aber kein Stimm­recht. Ingeborg Esser, Haupt­geschäfts­führerin des GdW Bundes­verband deutscher Wohnungs-und Immobilien­unternehmen e. V. in Berlin hält dies für problematisch: „Dieses Konstrukt ist aus unserer Sicht nicht mit dem Genossen­schafts­gesetz vereinbar.“

Wer eine Wohnung nutzt, muss auch Stimm­recht haben

Esser erläutert, das Genossen­schafts­gesetz erlaube es, den Einfluss investierender Mitglieder zu begrenzen, wenn diese sich nur kapital­mäßig beteiligten und die Einrichtungen der Genossenschaft nicht nutzten. Es sei genossen­schafts­recht­lich gar nicht zulässig, dass solche Mitglieder ohne Stimm­recht eine Wohnung nutzen. Das komme nur in Betracht, „wenn sie als ordentliche Mitglieder mit allen Rechten aufgenommen werden.“

Registerge­richt will die Sache über­prüfen

Die Begeno16-Satzung sieht genau das nicht vor. Die Begeno16 erklärte, diese Interpretation des Genossen­schafts­gesetzes nicht zu teilen. Die Satzung sei unter Einbeziehung ihres Prüfungs­verbands der Deutschen Verkehrs-, Dienst­leistungs- und Konsumgenossenschaften e. V. aus Hamburg und einer Wirt­schafts­prüfungs­kanzlei erstellt worden. Der Prüfungs­verband äußerte sich nicht dazu. Das zuständige Registerge­richt Berlin-Charlottenburg kündigte Recherchen an, eine Antwort traf bis Redak­tions­schluss nicht ein.

Begeno16-Gründer mit öffent­licher Funk­tion

Begeno16-Gründer und -Vorstand bis 4. Februar 2019 ist der Genossen­schafts­experte Jochen Hucke. Er wurde am 25. Februar 2019 zum Genossen­schafts­beauftragten des Landes Berlin berufen. Er ließ mitteilen, er wolle davon Abstand nehmen, die Fragen zu beant­worten. Dass er Begeno16-Mitglied sei, müsse nicht gesondert recherchiert werden.

Seriöse Genossenschaften arbeiten anders

Julia Schreiber und ihr Freund suchen weiter: „Wir sollen so viel Geld beisteuern, dürfen aber nicht mitbestimmen.“ Dem Genossen­schafts­gedanken entspricht es nicht, den Bewohnern kein Stimm­recht zu gewähren.

Tipp: Wie Sie solide Genossenschaften von dubiosen unterscheiden, zeigen wir in unserem Genossenschafts-Special.

* Name von der Redak­tion geändert.

Quelle: https://www.test.de/Wohnungsbaugenossenschaft-Neues-Konzept-mit-Haken-5536845-0/

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