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Die neue Musterklage an einem Beispiel

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Der Beitrag erklärt die Unterschiede der neuen Musterklage für Verbraucher zu anderen möglichen Prozessarten an einem fiktiven Beispiel:

Die üblen Geschäfte der Silvesterknaller AG

Die Silvesterknaller AG aus der langweiligen Eifel will endlich den wirtschaftlichen Aufschwung in dem Heimatdorf bringen. Deshalb gründen zwei Brüder dort die Aktiengesellschaft und sammeln bei der Dorfbevölkerung Geld für Aktien ein. Da sie im Firmenprospekt maßlos übertrieben und den Einwohnern sozusagen das Blaue vom Himmel versprachen, investierten alle 5.000 Dörfler. Kurz vor Jahreswechsel kaufen alle 2.500 Männer des Dorfes Knaller und warten auf Silvester. Leider brennen aufgrund eines Produktionsfehlers die Knaller zu früh ab und im gesamten Dorf gehen 500 Garagen nebst verschiedenen Autos in Flammen auf. Der Aktienkurs der Silvesterknaller AG fällt daher stark ab.

Wir haben also zwei Gruppen von Schäden: Zum einen, weil die Aktien zu teuer oder unter falschen Voraussetzungen erworben wurden, und zum anderen die Schäden an den Garagen und den Autos. Daraufhin laufen alle geschädigten Dorfbewohner voller Frust zu ihren Rechtsanwälten und wollen klagen. Einige haben eine Rechtsschutz-Versicherung, andere nicht. Viel Geld in die Prozesse wollen die Geschädigten mit den wertlosen Aktien und den abgebrannten Garagen nicht investieren. Die Geschädigten haben auch Angst, die Prozesse zu verlieren und dann die Anwaltskosten und Gerichtskosten selber zahlen zu müssen. Außerdem besteht das Risiko, dass die Aktiengesellschaft insolvent geht.

Teilklage

Familie Müller hat eine Garage im Wert von 5.000 € nebst eines Mercedes im Wert von 50.000 € verloren. Der Schaden liegt also bei 55.000 €. Ihnen sind die Prozesskosten aber zu hoch und sie klagen erst mal nur 5.001 € Schaden ein? Warum? Die Prozesskosten werden anhand des geringen Wertes berechtnet und ab 5.000 € ist das Landgericht zuständig. Sie klagen nun gegen die Aktiengesellschaft. Der Prozess läuft gut und im Laufe des Prozesses erweitern die Geschädigten die Klagesumme. Also risikoarm gestartet…und furios gelandet. Tipp: Geschädigte müssen nicht gleich den ganzen Schaden einklagen. Eine Risikobegrenzung bietet eine Teilklage an, die dann erweitert werden kann.

Sammelklage durch Abtretung

Die Familien Meier, Schulze und Dorfmann tun sich zusammen und klagen gemeinsam. Die Garagen und Autos sind zerstört. Sie erheben gemeinsam Klage, in dem diese ihre gesamten Schaden an den Herrn Meier abtreten. Sie vereinbaren intern, dass Meier den Prozess führt, sie die Kosten und den Gewinn teilen. Das ist immerhin noch billiger als die getrennten Klagen. Außerdem haben die Geschädigten den Vorteil, sich besser abstimmen zu können und die Beweise etc. austauschen. Tipp: Geteiltes Leid ist halbes Leid. Wenn Geschädigte sich gut verstehen, kann eine Abtretung und gemeinsame Prozessführung sinnvoll sein.

Musterfeststellungsklage

Die weiteren 496 Geschädigte haben einen Garagenschaden nebst zerstörtem Auto durch die abgebrannten Böller und Raketen. Alle haben den gleichen Fall als Sachverhalt, nur unterschiedlich hohe Schäden aufgrund der verschiedenen Garagen- und Autotypen.

Neue Rechtslage ab dem 01.11.2018

Seit dem 01.11.2018 gibt es die sogenannte Musterfeststellungsklage (MFK). Darin ist vorgesehen, dass bestimmte Verbände im Namen von Verbrauchern einen Schaden gerichtlich feststellen lassen oder einen Vergleich abschließen können. Nur anerkannte und besonders qualifizierte Verbände können künftig stellvertretend für Verbraucher gegen ein Unternehmen in einem Musterverfahren klagen. Betroffene müssen sich dafür in einem Klageregister anmelden (https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/Buergerdienste/Klageregister/Allgemeines_node.html). Dafür ist kein Anwalt erforderlich. Das bringt allen Beteiligten Vorteile: Verbraucherinnen und Verbraucher können ihre Rechte einfacher durchsetzen. Unternehmen erhalten Rechtssicherheit. Eine Musterfeststellungsklage ist zulässig, wenn der klagende Verband glaubhaft macht, dass mindestens zehn Verbraucher betroffen sind. Zudem müssen sich zwei Monate nach der öffentlichen Bekanntmachung der MFK mindestens 50 Verbraucher in einem vom Bundesamt für Justiz geführten Klageregister angemeldet haben. Die Anmeldung ist kostenfrei, es ist kein Anwalt erforderlich. Die Anmeldung ist bis zum ersten Verhandlungstermin möglich.

Das Musterfeststellungsverfahren kann durch Vergleich oder Urteil beendet werden. Verbraucher tragen keinerlei Verfahrenskosten. Ein rechtskräftiges Musterfeststellungsurteil ist grundsätzlich bindend für zwischen dem im Klageregister angemeldeten Verbraucher und dem beklagten Unternehmen. Mit anderen Worten: Ein Verband klagt jetzt gegen die Silvesterknaller AG den grundsätzlichen Schaden wegen der fehlerhaften Produktion der Böller ein. Das Gericht stellt den grundsätzlichen Schadenersatzanspruch fest. Die 496 Böllergeschädigten hatten sich mittels kostenfreiem Eintrag angeschlossen. Grundsätzlich ist der Schadenersatzanspruch festgestellt.

Falls die Silvesterknaller AG nicht freiwillig zahlt, müssen die Kläger jetzt nur noch ihren individuellen Schaden beziffern und einklagen, da die grundsätzliche Haftung ja bereits rechtsverbindlich festgestellt ist. Also: zuerst führt der Verband die Klage und anschließend folgt eine weitere Klage pro Geschädigter (aber nur noch über die Höhe des Schadens).

Tipps: Anspruchsberechtigte können Verbände informieren und hoffen, dass diese die Klage aufnehmen. Dann können sich die Geschädigten einfach anschließen und abwarten. Die ersten Verfahren in Sachen Dieselklagen wurden noch in der Nacht des 1.11. eingereicht.

Musterklage nach dem KapMuG – Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten

Beim Schaden aufgrund des falschen Prospektes der Silvesterknaller AG hilft das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG), welches es schon seit einigen Jahren gibt. Der Gesetzgeber reagierte damit auf die vielen Schadenersatzklagen wegen des Börsenganges der Deutschen Telekom AG. Es betrifft aber nur Ansprüche aus Kapitalanlagen und irreführenden Angaben. Außerdem ist es anders organisiert als die Musterfeststellungsklage: Hier können die Anleger klagen. Wenn sich eine Vorfrage stellt, zum Beispiel, ob der Prospekt korrekt war, holt das zuständige Gericht ab 10 Musterklägern einen Klärungsbescheid des Oberlandesgerichts ein. Bei einem Musterverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz wird aus der Vielzahl gleichgerichteter Klagen eine herausgegriffen, die beispielhaft an dem Oberlandesgericht (OLG) verhandelt wird. Passt einem der Beteiligten der Richterspruch des OLG nicht, so geht es daraufhin zur Rechtsbeschwerde vor den Bundesgerichtshof (BGH). Dieser Klärungsbescheid ist dann Grundlage in allen bereits laufenden Verfahren vor den Gerichten. Auch in diesem Musterverfahren geht es um einheitliche Vorfragen wie in der Musterfeststellungsklage (war der Prospekt in Ordnung oder waren die Böller richtig hergestellt?).

Während als das KapMuG nur einen kleinen Teil von Klagen betrifft, geht das Musterfeststellungsklage-Gesetz weit darüber hinaus. Hier liegen allerdings noch keine Erfahrungen vor.

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