Interviewer:
Die Zahlen sind ernüchternd: Der Anteil des Risikokapitals für Startups mit ausschließlich weiblichen Gründerinnen ist 2024 auf unter ein Prozent gesunken. Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptgründe für diese Ungleichverteilung?
Rechtsanwältin Bontschev:
Tatsächlich ist der Zugang zu Wagniskapital für Gründerinnen seit Jahren problematisch. Investoren haben oft unbewusste Vorurteile, sogenannte Biases, die sich darauf auswirken, wie Startups bewertet werden. Häufig werden Unternehmen mit weiblichen Führungsteams als weniger wachstumsstark eingeschätzt, was dazu führt, dass Finanzierungsentscheidungen zu Ungunsten von Gründerinnen ausfallen. Zudem fehlt es in der Investmentbranche selbst an weiblichen Entscheiderinnen, die eine andere Perspektive in den Vergabeprozess einbringen könnten.
Interviewer:
Die Zahlen zeigen einen drastischen Rückgang: Von 2023 auf 2024 sind die Investments in von Frauen gegründete Startups um 58 Prozent gesunken. Welche Folgen hat das für die Startup-Landschaft?
Rechtsanwältin Bontschev:
Wenn immer weniger Kapital in rein weiblich geführte Startups fließt, verstärkt sich das Ungleichgewicht in der gesamten Unternehmenslandschaft. Frauen haben weniger Möglichkeiten, ihre Geschäftsideen zu skalieren, was langfristig zu einer geringeren Vielfalt an Produkten und Dienstleistungen führt. Gleichzeitig wird das Bild geprägt, dass von Männern geführte Unternehmen wirtschaftlich attraktiver seien – eine sich selbst verstärkende Dynamik, die für den Innovationsstandort Deutschland kritisch ist. Zudem führt die Kapitalverteilung dazu, dass wichtige Zukunftsbranchen, in denen Frauen oft vertreten sind – beispielsweise nachhaltige Technologien oder soziale Innovationen – benachteiligt werden.
Interviewer:
Gibt es rechtliche Hebel oder Maßnahmen, die dabei helfen könnten, diese Finanzierungslücke zu schließen?
Rechtsanwältin Bontschev:
Es gibt bereits einige gesetzliche Initiativen, die darauf abzielen, Chancengleichheit bei der Kapitalvergabe zu fördern. Beispielsweise könnten steuerliche Anreize für Investitionen in weiblich geführte Startups geschaffen werden. Eine weitere Möglichkeit wäre eine verpflichtende Diversitätsquote bei staatlich geförderten Wagniskapitalfonds, die sicherstellt, dass Kapital gleichmäßiger verteilt wird. Ein weiteres Mittel sind Anti-Diskriminierungsklauseln in Investmentverträgen, die sicherstellen, dass Finanzierungsentscheidungen auf objektiven Kriterien basieren.
Allerdings bleibt die praktische Umsetzung schwierig, da Venture-Capital-Investments oft privatrechtlicher Natur sind und es aktuell kaum verpflichtende Mechanismen zur Gleichstellung gibt. Hier wäre ein klarer gesetzlicher Rahmen oder eine stärkere Förderung von Female-Founders-Programmen ein sinnvoller Ansatz.
Interviewer:
Welche praktischen Tipps können Sie Gründerinnen geben, die sich trotz dieser Herausforderungen erfolgreich finanzieren wollen?
Rechtsanwältin Bontschev:
Frauen sollten verstärkt auf alternative Finanzierungswege setzen, etwa Crowdinvesting, staatliche Fördermittel oder spezialisierte Fonds für Gründerinnen. Zudem lohnt es sich, gezielt nach Investoren und Netzwerken zu suchen, die sich auf Impact Investing oder Diversity in Startups konzentrieren.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die rechtliche Absicherung bei Beteiligungsverträgen. Gründerinnen sollten darauf achten, dass sie faire Vertragsbedingungen erhalten, insbesondere im Hinblick auf Stimmrechte, Verwässerungsschutz und Exit-Klauseln. Zudem rate ich dazu, sich frühzeitig mit erfahrenen Investorinnen und Gründerinnen zu vernetzen, um von deren Erfahrungen zu profitieren.
Interviewer:
Was müsste sich strukturell ändern, damit mehr Kapital in von Frauen gegründete Startups fließt?
Rechtsanwältin Bontschev:
Zum einen müssen VC-Fonds diverser besetzt werden, damit mehr Investorinnen über die Kapitalvergabe mitentscheiden. Studien zeigen, dass weibliche Investoren eher bereit sind, in von Frauen geführte Startups zu investieren. Zum anderen braucht es mehr Transparenz in Investmentprozessen, damit geschlechtsspezifische Unterschiede bei Finanzierungsentscheidungen identifiziert und adressiert werden können.
Ein weiteres wichtiges Element ist die stärkere Einbindung staatlicher Förderprogramme. Hier könnte es spezielle Programme geben, die gezielt auf Frauen ausgerichtet sind, um strukturelle Nachteile auszugleichen. Zudem sollten Investoren verstärkt in die Pflicht genommen werden, offenzulegen, wie sich ihre Investmententscheidungen geschlechtsspezifisch verteilen.
Ein langfristiger Hebel wäre auch eine bessere finanzielle Bildung und Netzwerkarbeit für Frauen, um ihnen frühzeitig den Zugang zu Kapitalgebern zu erleichtern. Viele Gründerinnen sind hervorragend in ihren Branchen, haben aber weniger Zugang zu VC-Netzwerken und Mentoren, die entscheidend für erfolgreiche Finanzierungen sind.
Interviewer:
Vielen Dank, Frau Bontschev, für diese wertvollen Einblicke! Es bleibt zu hoffen, dass sich die Finanzierungschancen für Gründerinnen in Zukunft verbessern und strukturelle Hindernisse weiter abgebaut werden.
Rechtsanwältin Bontschev:
Ich danke Ihnen! Es ist wichtig, dass dieses Thema mehr Aufmerksamkeit bekommt, denn es betrifft nicht nur Gründerinnen, sondern die gesamte Innovationslandschaft und Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft.