Während öffentlich oft vor Fremden gewarnt wird, sind es in Wahrheit häufig die eigenen Eltern, die Kinder entführen – mit teils jahrelangen, dramatischen Folgen. Fachleute fordern mehr gesellschaftliches Bewusstsein für diese Form der Kindesentziehung, die rechtlich zwar oft als „Sorgerechtsstreit“ beginnt, für die betroffenen Kinder aber genauso gefährlich sein kann wie eine klassische Entführung.
Ein Abschied, der keiner sein sollte
Am 12. Juni verabschiedete sich Chase Desormeaux in Louisiana von seinen beiden Söhnen Cohen (7) und Colton (5), die mit ihrer Mutter zu einem Fußballturnier nach Texas reisen wollten. Doch sie kehrten nie zurück. Seitdem herrscht Funkstille – die Mutter brach den Kontakt ab, der Vater kämpft seither um Klarheit und Gerechtigkeit.
„Ich halte mich emotional und mental nur noch mit Mühe über Wasser“, sagte Desormeaux gegenüber USA TODAY.
Trotz einer richterlichen Anordnung zur Rückführung der Kinder und einem Haftbefehl gegen seine Ex-Frau bleibt die Suche bislang erfolglos.
Familienentführungen sind häufiger als gedacht
Im Jahr 2023 wurden rund 1.200 Fälle von Kindesentführungen durch Familienangehörige bei der US-Organisation National Center for Missing & Exploited Children gemeldet – deutlich mehr als die etwa 290 Fälle, bei denen Fremde die Täter waren.
„Die Annahme, dass ein Kind bei einem Elternteil automatisch in Sicherheit ist, ist trügerisch“, warnt Angeline Hartmann von der Organisation. In vielen dieser Fälle leben Kinder jahrelang versteckt, haben keinen Zugang zu Ärzten, dürfen nicht nach draußen oder erleben psychische Belastungen durch den ständigen Druck des Versteckens.
Wenn Gerichte versagen
Laut einem Bericht des Center for Judicial Excellence wurden seit 2008 über 940 Kinder in den USA durch trennungs- oder scheidungsbedingte Gewalt durch ein Elternteil getötet – 14 % dieser Todesfälle wären vermeidbar gewesen. Gerichte, so Kritiker, erkennen Warnzeichen oft nicht oder gewichten das Besuchsrecht über das Kindeswohl.
Wie Fälle gelöst werden – manchmal nach Jahrzehnten
Trotz aller Herausforderungen gibt es Hoffnungsschimmer:
-
Andrea Reyes, vor 25 Jahren mit ihrer Mutter verschwunden, wurde im März 2025 in Mexiko gefunden – nach erneuten Ermittlungen der Polizei in Connecticut.
-
Kayla Unbehaun, die sechs Jahre lang als vermisst galt, wurde 2023 dank einer TV-Sendung erkannt und in North Carolina gefunden. Ihre Mutter steht nun wegen Kindesentführung vor Gericht.
-
Ein 14-jähriger Junge, seit 2017 vermisst, wurde 2025 zufällig in Colorado entdeckt, nachdem seine Mutter in ein leerstehendes Haus eingebrochen war.
Internationale Fälle: noch komplizierter
Wird ein Kind ins Ausland gebracht, kommen internationale Abkommen wie das Haager Übereinkommen über Kindesentführungen ins Spiel – rechtlich ein komplexer Spießrutenlauf. Anwältin Vicki Francois schildert den Fall einer Mutter, deren Kind vom Vater von Mexiko nach Virginia entführt wurde. Erst ein Gerichtsurteil nach internationalem Recht ermöglichte die Rückführung.
Was Eltern tun können
-
Sofort handeln: Verdachtsmomente sofort der Polizei melden.
-
Netzwerk aktivieren: Freunde, Familie und soziale Medien einbeziehen.
-
Vorbeugen: Bei Sorge vor internationaler Entführung können Eltern eine Benachrichtigung beim US-Außenministerium beantragen, wenn ein Pass für das Kind beantragt wird.
-
Rechtssicherheit schaffen: Besonders unverheiratete Eltern sollten ein gerichtliches Sorgerechtsurteil anstreben – das erleichtert im Ernstfall die Rückholung.
Fazit
Kindesentführungen durch Eltern sind keine privaten Dramen, sondern oft langfristig traumatisierende Erfahrungen für Kinder. Die Betroffenen verdienen gesellschaftliche und behördliche Aufmerksamkeit – genauso wie bei Fremdentführungen. Denn wie Angeline Hartmann betont:
„Vermisste Kinder können auch nach Jahren noch gefunden werden – aber dafür braucht es Aufmerksamkeit, Mut und Ausdauer.“