Herr Reime, die ESMA hat eine deutliche Warnung ausgesprochen: Immer mehr Menschen benutzen KI-Programme für ihre Geldanlage – und das kann gefährlich werden. Wie bewerten Sie diese Warnung?
Diese Warnung war überfällig. Ich sehe täglich, wie leichtgläubig viele Menschen mit neuen Technologien wie KI umgehen – gerade wenn es um Geld geht. Die Versprechen dieser Programme klingen oft zu schön, um wahr zu sein: Hohe Gewinne, ganz automatisch, angeblich maßgeschneiderte Tipps. Aber was viele nicht wissen: Diese Programme unterliegen keiner Kontrolle. Sie müssen sich nicht an die Regeln halten, die für seriöse Finanzberater gelten.
Was genau ist das Problem mit solchen KI-Tools?
Das größte Problem ist: Die meisten Menschen denken, sie bekommen eine echte, persönliche Beratung – so wie bei einer Bank oder bei einem zugelassenen Finanzberater. Aber das stimmt nicht. Diese KI-Tools sind oft gar nicht dafür gemacht, wirklich individuell zu beraten. Sie arbeiten mit Daten, die öffentlich im Internet stehen. Und sie sind nicht haftbar, wenn etwas schiefläuft.
Also wenn ich mein Geld durch eine KI-Empfehlung verliere, bleibe ich auf dem Schaden sitzen?
Genau so ist es. Wenn Sie von einer Bank oder einem zugelassenen Berater falsch beraten werden, können Sie im Zweifel klagen und Schadenersatz verlangen. Aber wenn ein KI-Tool einen falschen Tipp gibt – und Sie investieren Ihr Geld daraufhin und verlieren es –, dann gibt es in der Regel niemanden, den Sie verantwortlich machen können. Das ist ein enormes Risiko, vor allem für unerfahrene Anleger.
Die ESMA spricht auch das Thema Datenschutz an. Was bedeutet das für die Nutzer solcher Tools?
Ein sehr wichtiger Punkt. Viele dieser Tools fragen nach persönlichen Informationen – zum Beispiel: Wie alt sind Sie? Wie viel Geld haben Sie? Wie hoch ist Ihr Einkommen? Das Problem ist: Niemand weiß so genau, wo diese Daten gespeichert werden und was damit passiert. Oft sitzen die Betreiber dieser Tools im Ausland, außerhalb der EU – und damit auch außerhalb des europäischen Datenschutzrechts. Es kann sein, dass Ihre Daten verkauft oder missbraucht werden, ohne dass Sie es merken.
Die Tools geben sich oft sehr professionell. Manche stellen sogar Fragen zur Risikobereitschaft. Ist das nicht ein gutes Zeichen?
Das kann ein Zeichen sein – muss es aber nicht. Man darf sich davon nicht täuschen lassen. Nur weil ein Programm Ihnen ein paar Fragen stellt, heißt das noch lange nicht, dass Sie eine seriöse oder passende Empfehlung bekommen. Diese Fragen sind oft Standard und führen nicht zu einer echten Einschätzung Ihrer persönlichen Situation. Es wirkt nur professionell – aber das ist oft nur Fassade.
Was ist mit Apps, die sogenannte „Kauf- oder Verkaufssignale“ senden – also Hinweise geben, wann man Aktien kaufen oder verkaufen soll?
Ich sehe diese Apps sehr kritisch. Sie suggerieren, dass man mit ein paar Klicks Geld verdienen kann. Aber die Realität sieht anders aus: Aktienmärkte sind sehr komplex und oft unberechenbar. Kein Mensch – und auch keine KI – kann dauerhaft sicher vorhersagen, wie sich Kurse entwickeln. Wenn Ihnen eine App verspricht, sie könne das – und das auch noch mit hoher Genauigkeit – sollten bei Ihnen alle Alarmglocken läuten. Das sind oft leere Versprechungen.
Und trotzdem gibt es immer mehr solcher Apps. Warum?
Weil die Nachfrage da ist. Viele Menschen suchen einfache Lösungen für schwierige Probleme – wie Geldanlage oder Altersvorsorge. Und KI wirkt modern, schnell, bequem. Aber in Wahrheit sind viele dieser Angebote unreguliert und geschäftlich getrieben. Sie verdienen oft am Verkauf von Daten oder durch Abo-Modelle. Der Erfolg der Nutzer spielt da manchmal keine große Rolle.
Was raten Sie Anlegerinnen und Anlegern ganz konkret?
Erstens: Seien Sie kritisch. Hinterfragen Sie, mit wem Sie es zu tun haben. Ist der Anbieter zugelassen? Gibt es ein Impressum? Wird Ihre Privatsphäre geschützt? Zweitens: Verlassen Sie sich nicht nur auf eine Quelle – schon gar nicht auf eine Maschine. Holen Sie sich immer auch eine menschliche Einschätzung, am besten von einem Berater mit Zulassung. Und drittens: Wenn Ihnen eine Anlage verspricht, dass Sie schnell reich werden, ist das fast immer ein Warnzeichen.
Was passiert, wenn jemand heute schon mit einem KI-Tool viel Geld verloren hat? Gibt es rechtliche Möglichkeiten?
Das hängt vom Einzelfall ab. Wenn es ein Anbieter aus dem Ausland war, ist es oft sehr schwer, rechtlich etwas zu erreichen. Wenn aber ein deutscher Vermittler oder Plattformbetreiber beteiligt war, der das Tool beworben oder verkauft hat, kann man unter Umständen dort ansetzen. Wichtig ist: Alle Unterlagen aufheben, Screenshots machen, Zahlungsflüsse dokumentieren – und möglichst schnell rechtliche Beratung einholen.
Ein letzter Gedanke: Ist KI grundsätzlich schlecht in der Geldanlage?
Nein, ganz und gar nicht. KI kann helfen, Muster zu erkennen, Daten auszuwerten, Abläufe zu automatisieren. Sie ist ein Werkzeug – aber kein Ersatz für Fachwissen, Erfahrung und gesunden Menschenverstand. Wer KI blind vertraut, läuft Gefahr, schlechte Entscheidungen zu treffen. Wer sie aber kritisch und überlegt einsetzt – als Ergänzung, nicht als Ersatz –, kann durchaus davon profitieren. Aber ohne Risiko ist das nie.
Kurz gesagt, Herr Reime?
Verbraucher sollten bei KI-gestützten Geldanlagen dasselbe tun wie bei jeder anderen Investition: genau hinsehen, kritisch fragen – und sich nicht blenden lassen.