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Interview mit Rechtsanwalt Reime zu den Bilanzfehlern der Allgeier SE und den Konsequenzen für Anleger

WOKANDAPIX (CC0), Pixabay

Frage: Herr Reime, die BaFin hat festgestellt, dass der Konzernabschluss der Allgeier SE zum 31. Dezember 2020 fehlerhaft war. Welche Bedeutung hat das für Anleger?

Rechtsanwalt Reime: Die Fehler im Konzernabschluss sind aus Anlegersicht durchaus gravierend. Kapitalmarktorientierte Unternehmen wie die Allgeier SE müssen ihre Finanzberichte nach den International Financial Reporting Standards (IFRS) korrekt erstellen, um Transparenz und Verlässlichkeit für Investoren zu gewährleisten. In diesem Fall hat die BaFin gleich mehrere Fehler festgestellt, die das Gesamtergebnis des Unternehmens um mindestens 199 Millionen Euro zu niedrig ausgewiesen haben. Dies bedeutet, dass die wirtschaftliche Lage des Unternehmens für Anleger möglicherweise schlechter dargestellt wurde, als sie tatsächlich war.

Frage: Die Hauptprobleme betrafen die Abspaltung der Nagarro Gruppe. Welche spezifischen Fehler hat Allgeier SE dabei gemacht?

Rechtsanwalt Reime: Es wurden insgesamt drei zentrale Fehler identifiziert:

Fehlende Dividendenverbindlichkeit:
Bei der Abspaltung der Nagarro Gruppe hätte Allgeier SE alle ausgegebenen Aktien der Nagarro SE als Dividendenverbindlichkeit ansetzen müssen. Dies schreibt IFRIC 17.14 ausdrücklich vor. Das Unternehmen hat diesen Schritt jedoch unterlassen. Die Folge: Das „Ergebnis aus abgespaltenem und veräußertem Geschäft“ wurde um mindestens 199 Millionen Euro zu niedrig ausgewiesen.

Falsche Abschreibungen:
Allgeier SE hat auf die zur Abspaltung vorgesehenen Vermögenswerte zu lange Abschreibungen vorgenommen. Laut IFRS hätten diese nur bis zu dem Zeitpunkt erfolgen dürfen, an dem die Ausschüttung der Vermögenswerte als höchstwahrscheinlich galt – nicht bis zum Tag der tatsächlichen Abspaltung. Dadurch wurden die „Abschreibungen und Wertminderungen“ um rund 4,9 Millionen Euro zu hoch ausgewiesen.

Fehlende Umgliederung von Eigenkapitalbestandteilen:
Zudem wurden Eigenkapitalbestandteile im Zuge der Abspaltung nicht korrekt umgegliedert. Dies führte dazu, dass das „Gesamtergebnis der Periode“ in der Konzern-Gesamtergebnisrechnung um 14,478 Millionen Euro zu niedrig ausgewiesen wurde.

Frage: Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen Bilanzierungsfehlern für das Unternehmen und für Anleger?

Rechtsanwalt Reime: Für das Unternehmen bedeutet dies zunächst eine öffentliche Rüge der BaFin, die solche Fehler im Rahmen ihrer Bilanzkontrolle nach dem Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) feststellt und bekannt macht. Dies kann das Vertrauen in die finanzielle Berichterstattung von Allgeier SE erheblich beeinträchtigen.

Für Anleger bedeutet dies vor allem:

Potenzielle Irreführung: Wer auf Grundlage der fehlerhaften Finanzberichte investiert hat, könnte sich in der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens getäuscht sehen.
Rechtliche Ansprüche: Falls Anleger durch die falsche Bilanzierung wirtschaftliche Nachteile erlitten haben – etwa durch falsche Kursbewertungen oder Investitionsentscheidungen – könnten Schadensersatzansprüche geprüft werden.
Regulatorische Folgen: In schweren Fällen können Bilanzfehler auch Bußgelder oder weitere aufsichtsrechtliche Maßnahmen nach sich ziehen, insbesondere wenn sie den Kapitalmarkt erheblich beeinflusst haben.
Frage: Ist eine solche Fehlbilanzierung ungewöhnlich oder kommt so etwas häufiger vor?

Rechtsanwalt Reime: Grundsätzlich sind Bilanzierungsfehler in kapitalmarktorientierten Unternehmen nicht alltäglich, aber sie kommen immer wieder vor – insbesondere bei komplexen Umstrukturierungen, Abspaltungen oder Fusionen. Unternehmen unterliegen strengen Rechnungslegungsvorschriften, aber gerade in diesen Sonderfällen gibt es Spielräume und Interpretationsfragen, die manchmal zu Fehlern führen.

Allerdings zeigt dieser Fall auch, wie wichtig die Bilanzkontrolle durch die BaFin ist. Seit dem 1. Januar 2022 ist die BaFin alleine für die Überwachung der Bilanzen kapitalmarktorientierter Unternehmen zuständig, nachdem sie zuvor mit der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) zusammengearbeitet hatte. Ziel ist es, das Vertrauen von Anlegern zu stärken und mögliche Manipulationen oder Fehlbewertungen frühzeitig zu identifizieren.

Frage: Was sollten Anleger jetzt tun, die Anteile an der Allgeier SE halten oder gehalten haben?

Rechtsanwalt Reime: Anleger sollten zunächst prüfen, ob und wie sich die Bilanzkorrektur auf ihre Investitionen ausgewirkt hat. Dazu gehört eine Analyse, ob

die Aktienkurse durch die fehlerhaften Angaben beeinflusst wurden,
sie auf Basis falscher Finanzinformationen investiert haben und
sich dadurch möglicherweise ein Schaden ergeben hat.
Falls ein wirtschaftlicher Nachteil entstanden ist, kann es sinnvoll sein, sich rechtlich beraten zu lassen, um mögliche Schadensersatzansprüche zu prüfen. Hier kommt es darauf an, ob die falsche Bilanzierung nachweislich zu einer Täuschung der Anleger geführt hat und ob dadurch Verluste entstanden sind.

Frage: Wird es für das Unternehmen weitere Folgen geben, etwa in Bezug auf zukünftige Bilanzen?

Rechtsanwalt Reime: Die Allgeier SE wird die Fehler korrigieren müssen, und die BaFin kann weitere Prüfungen anordnen. Zudem wird das Unternehmen unter erhöhter Beobachtung stehen. Kapitalmarktteilnehmer, Analysten und Investoren werden sehr genau darauf achten, ob die zukünftigen Bilanzen fehlerfrei und transparent sind.

In der Regel führt eine solche Rüge der BaFin dazu, dass ein Unternehmen seine internen Kontrollmechanismen verbessert, um zukünftige Fehler zu vermeiden. Ob dies bereits in den kommenden Jahresabschlüssen sichtbar wird, bleibt abzuwarten.

Frage: Abschließend: Welche Lehren sollten Anleger aus diesem Fall ziehen?

Rechtsanwalt Reime: Anleger sollten sich immer bewusst machen, dass selbst große Unternehmen Bilanzierungsfehler machen können. Besonders bei komplexen Unternehmensumstrukturierungen – wie Abspaltungen, Fusionen oder Übernahmen – können fehlerhafte Angaben die wirtschaftliche Lage verzerren.

Es ist ratsam, nicht allein auf die veröffentlichten Finanzberichte zu vertrauen, sondern auch

die Bewertungen unabhängiger Analysten zu berücksichtigen,
mögliche Prüfungen der BaFin oder anderer Regulierungsbehörden zu verfolgen und
auf Kursentwicklungen und Marktreaktionen zu achten.
Für Anleger, die auf solide, transparente Unternehmen setzen wollen, ist es ein weiteres Beispiel dafür, wie wichtig eine kritische Analyse der Finanzberichte und ein gesundes Maß an Skepsis sein können.

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