„Insolvenzverfahren sind oft ein Drahtseilakt“ – Interview mit Rechtsanwalt Maurice Högel
Herr Högel, wer entscheidet eigentlich darüber, welche Kanzlei ein Insolvenzverfahren übernimmt?
Die Vergabe eines Insolvenzverfahrens ist Aufgabe des zuständigen Insolvenzgerichts. Sobald ein Insolvenzantrag gestellt wird – entweder durch den Schuldner selbst oder durch einen Gläubiger –, prüft das Gericht, ob die Voraussetzungen für die Eröffnung des Verfahrens vorliegen. Ist dies der Fall, bestimmt das Gericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter oder beauftragt einen Gutachter. Meist werden hierfür spezialisierte Insolvenzanwälte oder Insolvenzkanzleien herangezogen.
Nach welchen Kriterien trifft das Gericht diese Entscheidung?
Die Auswahl erfolgt nach Erfahrung, Qualifikation und Kapazitäten der Kanzlei. In der Regel gibt es eine Liste mit registrierten Insolvenzverwaltern, aus denen das Gericht auswählt. Gelegentlich schlagen auch Gläubiger oder Schuldner einen Insolvenzverwalter vor – doch die endgültige Entscheidung liegt immer beim Gericht.
Warum wird zunächst ein Insolvenzgutachten erstellt?
Ein Insolvenzgutachten dient vor allem dazu, festzustellen, ob genug Insolvenzmasse vorhanden ist, um das Verfahren durchzuführen. Der vorläufige Insolvenzverwalter oder Gutachter prüft:
- Ob ausreichend Vermögen existiert, um die Verfahrenskosten zu decken
- Ob das Unternehmen fortgeführt oder saniert werden kann
- Wie hoch die Schulden und Forderungen der Gläubiger sind
Falls die Masse nicht einmal ausreicht, um die Verfahrenskosten zu tragen, kann das Insolvenzverfahren mangels Masse abgelehnt werden.
Wovon hängen die Kosten eines Insolvenzverfahrens ab?
Die Kosten eines Insolvenzverfahrens setzen sich aus mehreren Faktoren zusammen:
- Gerichtskosten, die für die Bearbeitung und Eröffnung des Verfahrens anfallen.
- Vergütung des Insolvenzverwalters, die von der Insolvenzmasse abhängt.
- Kosten für Gutachten, Prüfungen und Berichte.
- Kosten für Mitarbeiter oder Dritte, die in die Abwicklung eingebunden werden.
Die Vergütung des Insolvenzverwalters richtet sich nach der Insolvenzordnung (InsO) und wird prozentual von der verwalteten Masse berechnet.
Kann ein Insolvenzverfahren einen Insolvenzverwalter reich machen?
Ja, das kann passieren – zumindest bei großen Unternehmensinsolvenzen. Die Vergütung des Insolvenzverwalters steigt mit der Höhe der verwalteten Insolvenzmasse. Bei komplexen und langwierigen Verfahren kann dies zu Honoraren in Millionenhöhe führen.
Besonders lukrativ sind Fälle, in denen Unternehmen fortgeführt oder gewinnbringend verkauft werden. Auf der anderen Seite gibt es viele Verfahren mit geringer Masse, in denen die Vergütung entsprechend niedrig ausfällt.
Was bedeutet es, wenn ein Insolvenzverfahren „mangels Masse“ abgelehnt wird?
Das bedeutet, dass nicht genug Vermögen vorhanden ist, um die Verfahrenskosten zu decken. In solchen Fällen wird das Insolvenzverfahren gar nicht erst eröffnet. Die Konsequenz:
- Die Gläubiger erhalten keine Rückzahlung ihrer Forderungen.
- Der Schuldner bleibt auf seinen Schulden sitzen, es sei denn, es gibt eine außergerichtliche Einigung.
In vielen Fällen ist eine außergerichtliche Schuldenregulierung dann der einzige Weg für den Schuldner.
Wann muss ein Gläubigerausschuss eingerichtet werden und wer entscheidet darüber?
Ein Gläubigerausschuss wird eingerichtet, wenn:
- Die Insolvenzmasse eine bestimmte wirtschaftliche Größe überschreitet.
- Besondere Interessen der Gläubiger geschützt werden müssen.
- Gläubiger die Einsetzung aktiv fordern.
Die Entscheidung trifft das Insolvenzgericht. Der Gläubigerausschuss setzt sich aus Vertretern der wichtigsten Gläubiger zusammen und hat die Aufgabe, den Insolvenzverwalter zu überwachen und mitzubestimmen.
Welche Rolle spielt der Gläubigerausschuss konkret?
Der Gläubigerausschuss kann zum Beispiel Einfluss darauf nehmen, wie das Unternehmen abgewickelt oder ob es weitergeführt wird. Er kann auch den Insolvenzverwalter kontrollieren und sicherstellen, dass die Interessen der Gläubiger gewahrt bleiben.
Abschließend: Was ist Ihr wichtigster Rat für betroffene Gläubiger oder Schuldner?
Gläubiger sollten sich frühzeitig informieren und, wenn möglich, eine aktive Rolle im Verfahren einnehmen, etwa durch den Gläubigerausschuss. Schuldner sollten prüfen, ob eine Insolvenz wirklich der beste Weg ist oder ob es Alternativen gibt. Und allgemein gilt: Transparenz und professionelle Beratung sind entscheidend, um unnötige Verluste zu vermeiden.
Herr Högel, vielen Dank für das Gespräch.