Stellen Sie sich vor, Sie laufen einen Marathon, kommen als Erster ins Ziel, brechen den Streckenrekord und bekommen dann von den Zuschauern ein müdes Klatschen, weil Sie nicht auch noch nebenbei den Weltrekord gebrochen haben. Willkommen in der Welt von Amazon.
Der Online-Gigant hat im Weihnachtsquartal eine beeindruckende Leistung hingelegt: Der Umsatz kletterte um 10 % im Vergleich zum Vorjahr und erreichte stolze 187,8 Milliarden Dollar. Man könnte meinen, das sei Grund zur Freude. Doch nicht an der Börse, wo Erwartungen höher hängen als Prime-Pakete im Lieferzentrum. Die Aktie fiel im nachbörslichen Handel prompt um mehr als drei Prozent, weil Amazon es wagte, mit seiner Prognose für das laufende Quartal die Analysten zu enttäuschen.
Der große Fauxpas? Amazon rechnet mit einem Umsatz zwischen 151 und 155,5 Milliarden Dollar – klingt ordentlich, oder? Nicht für die immer hungrigen Analysten, die fest davon überzeugt waren, dass das Unternehmen locker über 158 Milliarden Dollar schaffen würde. Offenbar ist es ein Kapitalverbrechen, wenn ein Unternehmen nach einem umsatzstarken Weihnachtsgeschäft nicht noch ein paar Milliarden aus dem Hut zaubert. Vielleicht hätte Amazon einfach die Versandkosten verdoppeln sollen – das hätte den Umsatz sicher auf die „richtige“ Zahl gebracht.
Und das, obwohl Amazon in anderen Bereichen glänzt. Der Cloud-Bereich AWS hat weiterhin solide Zahlen geliefert, und der Ausbau der Lieferlogistik läuft auf Hochtouren. Aber nein, was zählt, sind die drei Milliarden, die in der Glaskugel der Analysten gefehlt haben. Die Börse reagierte mit der gewohnten Überempfindlichkeit: Ein Rückgang von drei Prozent – als ob Amazon über Nacht zu einem riskanten Start-up mutiert wäre.
Doch mal ehrlich: Vielleicht sollten wir ein bisschen Nachsicht mit einem Unternehmen haben, das Jahr für Jahr Milliarden scheffelt und gleichzeitig unsere Pakete schneller liefert, als wir „Alexa, spiel traurige Musik“ sagen können. Aber in der Welt der Börse ist „gut“ eben nicht gut genug – nur übermenschliche Perfektion zählt.
Also, wenn Sie das nächste Mal ein Amazon-Paket vor der Tür finden, denken Sie daran: Der Konzern hat „nur“ 151 Milliarden Dollar Umsatz gemacht. Wie unverschämt!