Nach dem Bekanntwerden eines erschütternden Falls von schwerer Vernachlässigung in St. Margarethen an der Raab steht die oststeirische Gemeinde unter Schock. Vier Kinder lebten laut Polizeiangaben unter katastrophalen Bedingungen – zwischen Müll und Unrat –, während Tiere auf dem Hof unter teils qualvollen Zuständen gehalten wurden. Die Betroffenheit in der Bevölkerung ist groß, doch der Fall wirft zahlreiche Fragen auf: Warum wurde nicht früher eingegriffen? Und wie konnte es geschehen, dass die betroffene Familie nach Deutschland fliehen konnte, bevor Konsequenzen gezogen wurden?
Bürgermeister beschwichtigt, Fachleute warnen
Bürgermeister Johannes Karner versucht, die Wogen zu glätten. Er bezeichnet die Familie als „Aussteiger“, die mit der Landwirtschaft schlicht überfordert gewesen seien. „Das war lange kein großes Problem, weil nicht viele Tiere am Hof waren“, so Karner. Erst mit der Zeit sei die Situation eskaliert, bis die Behörden schließlich aktiv wurden.
Doch diese Erklärung stößt vielerorts auf Unverständnis. Denn was sich auf dem Hof abspielte, lässt sich nur schwer mit Überforderung allein erklären: Pferde standen knietief im Dreck, Hunde lebten in mit Kot verschmutzten Räumen, und die Kinder mussten in einer Baustelle zwischen Gerümpel schlafen.
Laut Karner habe die Familie zuvor keinerlei Auffälligkeiten gezeigt. „Die Kinder sind eineinhalb Jahre zur Schule gegangen, es gab nie Beschwerden oder Hinweise.“ Dennoch bleibt die Frage im Raum: Wie konnte eine solch gravierende Vernachlässigung unbemerkt bleiben?
Überlastete Sozialarbeit und fehlende Zivilcourage
Experten wie die Kinder- und Jugendanwältin Denise Schiffrer-Barac sehen den Kern des Problems im chronischen Personalmangel in der Sozialarbeit. Viele Fälle würden zu spät erkannt, weil es schlicht nicht genug Fachkräfte gebe, die gefährdete Familien regelmäßig betreuen können. Zudem hätten viele Menschen Hemmungen, Missstände zu melden, aus Angst, sich in private Angelegenheiten einzumischen oder sich selbst dem Vorwurf falscher Verdächtigungen auszusetzen.
„Es fehlt zunehmend an Zivilcourage – dabei könnte frühzeitiges Handeln in solchen Fällen Leid verhindern“, so Schiffrer-Barac. Der Fall zeige erneut, wie dringend der Ausbau sozialer Unterstützungssysteme erforderlich sei.
Monatelange Täuschung durch die Familie
Besonders besorgniserregend ist die Erkenntnis, dass die Verdächtigen bereits in Niederösterreich wegen ähnlicher Vorwürfe bekannt waren. Polizei und Behördenvertreter berichten, dass sie über Monate hinweg gezielt getäuscht und behindert wurden, was eine raschere Intervention verhinderte. Letztlich konnte sich die Familie nach Deutschland absetzen, bevor Konsequenzen folgen konnten.
Ein Systemversagen mit Folgen?
Während die Behörden nun den Vorfall weiter untersuchen, bleibt ein bitterer Nachgeschmack: Wie viele solcher Fälle gibt es noch, die unbemerkt bleiben? Und welche Lehren wird man aus diesem erschütternden Vorfall ziehen, um künftiges Leid zu verhindern?
Fest steht: Die Tragödie von St. Margarethen ist nicht nur ein Einzelfall – sie ist ein Spiegelbild von systematischen Schwächen, die dringend behoben werden müssen.