Interview mit Rechtsanwalt Jens Reime zur rechtlichen Bewertung der Werbeaussagen der 123 Invest Group
Redaktion: Herr Reime, die 123 Invest Group wirbt mit einem festen Zinssatz von 6,50 % pro Jahr und spricht von „stabilen Festzinsen“ sowie einer durchschnittlichen Performance von 22,37 %. Wie bewerten Sie solche Aussagen aus rechtlicher Sicht?
Jens Reime: Solche Werbeaussagen sollten Anleger immer mit einer gesunden Portion Skepsis betrachten – und vor allem genau prüfen, was tatsächlich dahintersteckt. Aussagen wie „stabile Festzinsen“ und „sichere Geldanlage“ suggerieren Sicherheit, doch in der Realität gibt es bei jeder Geldanlage Risiken. Besonders kritisch sehe ich Begriffe wie „Inflationsschutz“ oder „Stabilität“, die potenziell irreführend sein können, wenn nicht klar auf die Risiken hingewiesen wird, insbesondere auf das Emittentenrisiko. Anleger sollten sich bewusst sein, dass auch ein Totalverlust des investierten Kapitals möglich ist.
Redaktion: Die 123 Invest Group erwähnt ein Transaktionsvolumen von 9,1 Milliarden Euro und wirbt mit einem „zukunftsstarken Unternehmen“. Kann dies als Sicherheitsgarantie gewertet werden?
Reime: Absolut nicht. Solche Angaben dienen oft dazu, Vertrauen zu schaffen, sagen aber wenig über die tatsächliche Sicherheit der Anlage aus. Ein hohes Transaktionsvolumen bedeutet lediglich, dass viele Geschäfte abgewickelt wurden – es sagt jedoch nichts über die finanzielle Stabilität oder die Bonität des Unternehmens aus. Anleger sollten sich nicht von solchen beeindruckend klingenden Zahlen blenden lassen, sondern vielmehr den Wertpapierprospekt genau studieren. Dieser enthält in der Regel wichtige Informationen zu den Risiken und zur finanziellen Situation des Unternehmens.
Redaktion: Die Werbung spricht von „attraktiven Festzinsen von 6,50 %“ und „klarer Planbarkeit“. Wie realistisch ist diese Rendite in einem Niedrigzinsumfeld?
Reime: Eine Rendite von 6,50 % in einem derzeitigen Niedrigzinsumfeld ist sicherlich attraktiv, aber Anleger sollten sich fragen, wie das Unternehmen diese Rendite erwirtschaften will. Hohe Renditeversprechen gehen immer mit einem erhöhten Risiko einher. Der Begriff „Planbarkeit“ sollte daher kritisch hinterfragt werden, denn diese gilt nur so lange, wie das Unternehmen tatsächlich in der Lage ist, die Zinsen zu zahlen und das Kapital zurückzuerstatten. Gerade bei Unternehmensanleihen hängt dies stark von der Bonität des Emittenten ab.
Redaktion: Die Werbung erwähnt mehrfach, dass es sich um „festverzinsliche Anleihen“ handelt, und stellt die Anlage als transparent dar. Welche Risiken sehen Sie dennoch?
Reime: Das größte Risiko bei solchen Anlagen ist das Emittentenrisiko – also die Gefahr, dass das Unternehmen zahlungsunfähig wird. Wenn die 123 Invest Group insolvent wird, haben die Anleger kaum eine Chance, ihr Geld zurückzubekommen. Zudem sind viele Details oft nicht in der Werbung, sondern ausschließlich im Wertpapierprospekt enthalten. Anleger sollten diesen genau lesen, insbesondere die Abschnitte über Risiken.
Ein weiteres Problem sehe ich in der Formulierung „festverzinslich“. Dies vermittelt den Eindruck von Sicherheit. Dabei handelt es sich bei solchen Anleihen um risikobehaftete Wertpapiere, die keinen Einlagenschutz bieten. Das Kapital ist also nicht wie bei einem klassischen Sparbuch oder Festgeld abgesichert.
Redaktion: Wie beurteilen Sie die Aussage, dass die Anleihe „einen Inflationsschutz“ biete?
Reime: Die Behauptung eines „Inflationsschutzes“ ist besonders kritisch. Zwar kann eine Rendite von 6,50 % potenziell die Inflation ausgleichen oder übertreffen, aber nur, wenn das Unternehmen über die gesamte Laufzeit der Anleihe zahlungsfähig bleibt. Ein Inflationsschutz ist bei solchen Anlagen nicht garantiert – im Gegenteil, bei einem Totalverlust droht der komplette Wertverlust. Solche Aussagen könnten daher potenziell irreführend sein, wenn Anleger die Risiken nicht verstehen.
Redaktion: Was ist Ihre Einschätzung zu der Aussage, dass diese Geldanlage „sowohl rentabel als auch stabil“ sei?
Reime: Begriffe wie „stabil“ oder „sicher“ sind in diesem Kontext problematisch. Sie könnten Anlegern eine falsche Sicherheit vermitteln, die in der Realität nicht gegeben ist. Eine Unternehmensanleihe hängt stark von der wirtschaftlichen Lage des Emittenten ab – und die kann sich schnell ändern. Es gibt keine Garantie für Stabilität, auch wenn das Unternehmen in der Vergangenheit erfolgreich war.
Redaktion: Was sollten Anleger tun, bevor sie in ein solches Angebot investieren?
Reime: Anleger sollten sich in jedem Fall unabhängig beraten lassen, am besten von einem Fachanwalt oder einem Finanzexperten, der nicht mit dem Emittenten verbunden ist. Es ist entscheidend, den Wertpapierprospekt gründlich zu lesen und zu verstehen, welche Risiken bestehen. Gerade bei hohen Renditeversprechen gilt: Es gibt keinen „sicheren Gewinn“.
Zudem sollten Anleger immer hinterfragen, warum ein Unternehmen eine so hohe Rendite bieten muss. Oft liegt es daran, dass es auf klassische Finanzierungswege wie Bankkredite nicht zugreifen kann, was wiederum ein Hinweis auf ein höheres Risiko sein kann.
Redaktion: Abschließend: Was ist Ihre wichtigste Botschaft an potenzielle Anleger?
Reime: Seien Sie vorsichtig und lassen Sie sich nicht von Hochglanz-Werbung blenden. Hinterfragen Sie die Angaben kritisch und prüfen Sie die Risiken. Jede Investition sollte zu Ihrer finanziellen Situation und Risikobereitschaft passen. Denken Sie daran: Hohe Renditen gehen immer mit hohen Risiken einher.
Redaktion: Vielen Dank, Herr Reime, für Ihre Einschätzungen!