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Interview mit Kapitalmarktexperten Thomas Bremer: „Die Realität hat die DEGAG und die Immobilienbranche eingeholt“

Tumisu (CC0), Pixabay

Redaktion: Herr Bremer, die DEGAG hat sich in der Vergangenheit stets als stabiler „Krisengewinner“ der Immobilienbranche präsentiert. Nun zeigt sich, dass auch sie unter der angespannten wirtschaftlichen Lage leidet. Wie bewerten Sie die Situation?

Thomas Bremer: Die DEGAG hat in ihren Prospekten und öffentlichen Äußerungen ein Bild von Stabilität und Sicherheit gezeichnet, das sich in der Realität nicht halten lässt. Die angespannte wirtschaftliche Lage – vor allem steigende Zinsen und Baukosten sowie die rückläufige Nachfrage – hat nicht nur die DEGAG, sondern die gesamte Immobilienbranche stark unter Druck gesetzt. Was wir hier sehen, ist das Ende einer Phase, in der viele Akteure von niedrigen Zinsen und einer künstlich angeheizten Marktdynamik profitiert haben, ohne wirklich auf die Risiken vorbereitet zu sein.

Redaktion: Die DEGAG hat stets betont, dass sie von Zinserhöhungen „kaum betroffen“ sei. Wie realistisch war diese Aussage?

Thomas Bremer: Diese Aussage war aus meiner Sicht übertrieben optimistisch. Natürlich ist es richtig, dass Wohnungsbestandshalter wie die DEGAG grundsätzlich stabilere Geschäftsmodelle haben als beispielsweise Projektentwickler, die stark von kurzfristigen Marktschwankungen abhängig sind. Aber Zinserhöhungen wirken sich auf alle Akteure der Immobilienbranche aus – entweder direkt über steigende Finanzierungskosten oder indirekt durch eine veränderte Marktdynamik. Die DEGAG hat hier offenbar die strukturellen Veränderungen im Markt unterschätzt und das den Anlegern nicht transparent genug gemacht.

Redaktion: Viele Anleger haben in die Genussrechte der DEGAG investiert, überzeugt von den Versprechen stabiler Erträge. Was sagen Sie den Anlegern, die jetzt enttäuscht sind?

Thomas Bremer: Die Situation ist für die Anleger natürlich bitter. Sie haben auf die Hochglanzpräsentationen und die optimistischen Prognosen des Unternehmens vertraut. Man hat ihnen ein Bild von Sicherheit vermittelt, das in der Realität nicht existierte. Mein Rat an Anleger ist immer, solche Versprechen kritisch zu hinterfragen. Gerade bei Genussrechten handelt es sich um ein hochriskantes Investment, das stark von der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens abhängt. Hier hätten die Anleger mehr Vorsicht walten lassen müssen, aber natürlich trägt auch die DEGAG eine Verantwortung, diese Risiken klar und ehrlich zu kommunizieren.

Redaktion: Woran liegt es, dass die DEGAG trotz ihrer langfristigen Strategie in Schwierigkeiten geraten ist?

Thomas Bremer: Der Immobilienmarkt hat sich fundamental verändert. Die jahrelang niedrigen Zinsen haben den Markt überhitzt. Viele Unternehmen – und das betrifft nicht nur die DEGAG – haben sich zu sehr auf dieses günstige Umfeld verlassen. Mit der Zinswende sind die Finanzierungskosten für Immobilien gestiegen, gleichzeitig hat die Inflation die Baukosten und Betriebsausgaben massiv in die Höhe getrieben. Dazu kommt, dass die Kaufkraft der Menschen durch die wirtschaftliche Unsicherheit gesunken ist. Auch wenn die DEGAG behauptet hat, von diesen Entwicklungen unabhängig zu sein, zeigt sich nun, dass das nicht der Fall ist.

Redaktion: Die DEGAG betont, dass sie durch Mietsteigerungen und einen langfristigen Ansatz von der aktuellen Lage profitieren könne. Wie bewerten Sie diese Argumentation?

Thomas Bremer: Mietsteigerungen sind sicherlich ein Faktor, der in der Wohnungswirtschaft eine Rolle spielt. Aber diese Steigerungen allein reichen nicht aus, um die Probleme zu kompensieren, mit denen die Branche aktuell konfrontiert ist. Der Markt ist komplexer, und steigende Mieten können die wirtschaftlichen Belastungen durch Zinserhöhungen und Inflation nicht vollständig ausgleichen. Die Argumentation der DEGAG klingt auf dem Papier gut, aber sie ignoriert die größeren wirtschaftlichen Zusammenhänge.

Redaktion: Wie sollten sich Anleger in der aktuellen Lage verhalten?

Thomas Bremer: Anleger sollten jetzt besonnen bleiben und sich einen genauen Überblick über die Situation verschaffen. Es ist wichtig, die Zahlen und Perspektiven der DEGAG und ähnlicher Unternehmen kritisch zu prüfen. In unsicheren Zeiten gilt es, Investments breiter zu streuen und nicht zu stark auf ein einzelnes Unternehmen oder einen einzelnen Sektor zu setzen. Vor allem sollten Anleger bei Genussrechten oder anderen risikobehafteten Produkten immer mit der Möglichkeit eines Totalausfalls rechnen.

Redaktion: Was bedeutet die aktuelle Lage der DEGAG für die gesamte Immobilienbranche?

Thomas Bremer: Die DEGAG ist kein Einzelfall. Die gesamte Branche steht vor enormen Herausforderungen. Viele Unternehmen haben sich in den letzten Jahren auf ein Wachstum auf Pump eingelassen und sind jetzt durch die veränderten Rahmenbedingungen in Schwierigkeiten geraten. Die Zeiten der nahezu grenzenlosen Expansion sind vorbei, und wir erleben eine Marktbereinigung. Für die Branche bedeutet das, dass sie ihre Strategien überdenken und sich an die neuen Gegebenheiten anpassen muss. Langfristige Stabilität wird wieder wichtiger als kurzfristiges Wachstum.

Redaktion: Sehen Sie in der angespannten Lage auch Chancen für die Immobilienbranche?

Thomas Bremer: Absolut. Krisen sind immer auch Chancen. Die Branche hat die Möglichkeit, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und sich nachhaltiger aufzustellen. Es wird wichtiger, sich auf reale Werte und langfristige Strategien zu konzentrieren, statt nur auf kurzfristige Gewinne zu schielen. Für Anleger bedeutet das, auf Unternehmen zu setzen, die wirklich Substanz haben und nicht nur mit großen Versprechen glänzen.

Redaktion: Ihr Fazit zur Situation der DEGAG?

Thomas Bremer: Die DEGAG ist ein weiteres Beispiel dafür, wie gefährlich es sein kann, auf einseitige Versprechungen und überzogenen Optimismus zu vertrauen. Anleger und Unternehmen sollten aus dieser Situation lernen. Der Immobilienmarkt ist kein Selbstläufer, und auch Wohnungsbestandshalter sind nicht immun gegenüber wirtschaftlichen Veränderungen. Die aktuelle Lage ist ein Weckruf – für die Branche, für Anleger und für Unternehmen wie die DEGAG, ihre Strategien realistischer und transparenter zu gestalten.

Redaktion: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Bremer!

Thomas Bremer: Gern geschehen.

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