Frage: Herr Reime, Sie haben den aktuellen Jahresabschluss der Nova Sedes Wohnungsbau eG analysiert. Was fällt Ihnen dabei besonders auf?
Jens Reime: Das erste, was ins Auge sticht, ist das Alter des Jahresabschlusses. Wir sprechen hier über Zahlen aus dem Geschäftsjahr 2022, die erst Anfang 2025 veröffentlicht wurden. Das bedeutet, die Informationen, die den Anlegern zur Verfügung gestellt werden, sind drei Jahre alt. Das ist für eine Genossenschaft dieser Größe und Relevanz schlicht inakzeptabel. Eigentlich müsste längst die Bilanz für 2023 vorliegen.
Frage: Warum ist das so problematisch?
Jens Reime: Eine Bilanz ist für Anleger und Mitglieder wie ein Fenster in die finanzielle Gesundheit eines Unternehmens. Doch wenn diese Informationen derart veraltet sind, wird das Fenster zur Blackbox. Anleger tappen im Dunkeln, was den aktuellen Zustand der Genossenschaft betrifft. Das erhöht nicht nur die Unsicherheit, sondern auch das Risiko für die Mitglieder. Die Frage ist: Warum verzögert sich die Veröffentlichung der 2023er-Bilanz?
Frage: Welche Risiken sehen Sie für die Mitglieder der Genossenschaft?
Jens Reime: Es gibt mehrere Risiken. Erstens: Die hohe Verschuldung der Genossenschaft – die Verbindlichkeiten sind im Vergleich zum Vorjahr um fast 92 % gestiegen. Zweitens: Der Rückgang der liquiden Mittel um fast 40 %. Das deutet auf potenzielle Liquiditätsprobleme hin. Drittens: Die Abgänge von zahlenden Mitgliedern. All das sind Warnsignale. Doch ohne eine aktuelle Bilanz bleibt es reine Spekulation, ob sich diese Trends fortgesetzt haben oder ob Gegenmaßnahmen getroffen wurden.
Frage: Was fordern Sie von der Genossenschaft?
Jens Reime: Es ist dringend notwendig, dass die Bilanz für 2023 so schnell wie möglich veröffentlicht wird. Gleichzeitig sollten Anleger Einblick in die aktuellen finanziellen Details der Genossenschaft erhalten, etwa durch die Einrichtung eines Datenraums. Die Mitglieder haben ein Recht darauf zu wissen, wie ihr Geld verwendet wird und wie es um die Zukunft der Genossenschaft bestellt ist.
Frage: Gibt es besondere Herausforderungen, die Sie in der veröffentlichten Bilanz sehen?
Jens Reime: Ja, absolut. Zum einen ist der massive Anstieg der Sachanlagen hervorzuheben. Die Genossenschaft scheint stark in Immobilien investiert zu haben, doch ohne genaue Informationen bleibt unklar, ob diese Investitionen tatsächlich werthaltig und langfristig tragfähig sind. Zum anderen machen die Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten den größten Teil der Schulden aus. Das birgt gerade bei steigenden Zinsen erhebliche Risiken.
Frage: Was raten Sie den Mitgliedern der Genossenschaft?
Jens Reime: Mitglieder sollten jetzt aktive Transparenz einfordern. Es ist wichtig, dass sie nicht einfach abwarten, sondern die
Genossenschaft auffordern, ihre aktuellen Zahlen offenzulegen. Der Druck, eine vollständige und zeitgerechte Bilanz für 2023 zu präsentieren, muss erhöht werden. Zudem sollten Mitglieder über die Möglichkeit einer Interessengemeinschaft (IG) nachdenken, um gemeinsam stärker auftreten und ihre Rechte besser durchsetzen zu können.
Frage: Welche Konsequenzen drohen der Genossenschaft, wenn sie weiterhin so intransparent bleibt?
Jens Reime: Intransparenz führt zwangsläufig zu einem Vertrauensverlust – sowohl bei den Mitgliedern als auch bei potenziellen neuen Anlegern. Langfristig kann das die finanzielle Basis der Genossenschaft gefährden. Wenn die Mitglieder beginnen, in größerem Umfang auszutreten oder ihre Anteile nicht weiter zu bedienen, könnte das die Genossenschaft in eine kritische Lage bringen.
Frage: Wie können Mitglieder sich jetzt rechtlich absichern?
Jens Reime: Mitglieder sollten ihre Verträge und die Satzung genau prüfen, insbesondere im Hinblick auf die Haftung. Glücklicherweise gibt es bei der Nova Sedes Wohnungsbau eG keine Nachschusspflicht. Dennoch sollten Mitglieder klären, welche rechtlichen Schritte möglich sind, um Transparenz einzufordern – sei es über den Vorstand oder durch den genossenschaftlichen Prüfungsverband.
Frage: Herr Reime, wie lautet Ihr abschließender Rat?
Jens Reime: Mitglieder sollten jetzt nicht passiv bleiben. Fordern Sie aktuelle Informationen ein, schließen Sie sich mit anderen zusammen und prüfen Sie, ob eine Interessengemeinschaft gegründet werden kann. Nur durch gemeinsames Handeln lässt sich sicherstellen, dass die Genossenschaft nicht weiterhin eine Blackbox bleibt. Ohne aktuelle Zahlen bleibt die Nova Sedes Wohnungsbau eG ein unberechenbares Risiko
Frage: Vielen Dank, Herr Reime, für Ihre Einschätzung.
Jens Reime: Gern geschehen. Es bleibt zu hoffen, dass die Genossenschaft den Handlungsbedarf erkennt und ihrer Verantwortung gegenüber den Mitgliedern gerecht wird.