Der rasant wachsende Energiebedarf durch künstliche Intelligenz (KI) bringt die Tech-Branche an ihre Grenzen – und gleichzeitig die Klimaziele unter Druck. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, setzen führende Unternehmen wie Amazon, Google und Microsoft verstärkt auf den Bau neuartiger Atomkraftwerke, insbesondere Small Modular Reactors (SMR). Diese kleineren, modularen Reaktoren sollen künftig als zuverlässige Energiequellen dienen.
Während die Tech-Giganten Milliarden investieren, sehen Experten die Entwicklung kritisch: Weder sei die Technologie ausgereift, noch seien zentrale Probleme wie die Entsorgung von Atommüll gelöst. ORF Topos hat die Entwicklungen gemeinsam mit der Technischen Universität (TU) Wien näher beleuchtet.
SMR: Kleine Reaktoren, große Erwartungen
Small Modular Reactors (SMR) gelten als Hoffnungsträger der Atomenergie. Mit einer Leistung von bis zu 300 Megawatt (MW) pro Einheit produzieren sie etwa ein Drittel der Energie eines herkömmlichen Atomkraftwerks. Ihre kompakte Bauweise ermöglicht eine modulare Produktion und den einfachen Transport zu Einsatzorten. Zudem versprechen sie eine stabile Energieversorgung unabhängig von Wind und Sonne, was sie für die KI-Industrie besonders attraktiv macht.
Unternehmen wie Amazon haben bereits umfangreiche Verträge zur Förderung der SMR-Technologie unterzeichnet. Microsoft unterstützt die Wiederinbetriebnahme eines stillgelegten Atomkraftwerks in den USA, und Meta hat angekündigt, Vorschläge für die Nutzung von SMR zu prüfen. Das Start-up TerraPower, gegründet von Bill Gates, forscht bereits seit 2008 an neuen Reaktorkonzepten, darunter solche, die mit flüssigem Natrium als Kühlmittel arbeiten.
Warum die Tech-Branche auf SMR setzt
Der Energiebedarf für KI-Anwendungen wächst exponentiell. Schätzungen zufolge wird sich der Stromverbrauch von Rechenzentren in den USA zwischen 2023 und 2030 verdreifachen. KI-Modelle wie ChatGPT und Bildgeneratoren verbrauchen enorme Mengen an Strom. Eine ChatGPT-Anfrage verursacht beispielsweise 20-mal mehr CO2 als eine Google-Suchanfrage, und die Anforderungen für KI-basierte Bildgeneratoren sind noch deutlich höher.
Diese Entwicklungen zwingen die Tech-Branche dazu, nach langfristigen Lösungen zu suchen. SMR könnten den steigenden Energiebedarf decken und gleichzeitig das Image der „Climate Baddies“ verbessern, da sie als CO2-frei beworben werden.
Kritik und offene Fragen
Trotz der großen Versprechungen gibt es erhebliche Bedenken:
- Entwicklungsstand: Laut Experten wie Wolfgang Liebert von der Universität für Bodenkultur (BOKU) handelt es sich bei SMR bisher um „Papierreaktoren“, die nur auf Konzepten und Ideen basieren. „Nichts davon wurde bisher in der Praxis umgesetzt“, erklärt Liebert.
- Kosten: SMR-Projekte sind teuer. Ein Pilotprojekt in den USA scheiterte zuletzt aufgrund gestiegener Kosten. Die Entwicklungskosten für ein einziges SMR-System liegen bei mehreren hundert Millionen Dollar.
- Atommüll: Auch die neuen Reaktoren produzieren hochradioaktiven Abfall, dessen langfristige Lagerung weiterhin ungelöst bleibt.
- Zeithorizont: Kritiker bemängeln, dass die Technologie zu spät komme, um entscheidend zum Klimaschutz beizutragen.
Politische Unterstützung für SMR
Sowohl die USA als auch die EU fördern die Entwicklung von SMR aktiv. Die EU-Kommission betrachtet die Technologie als potenziellen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele des Green Deal und unterstützt entsprechende Forschungs- und Entwicklungsprogramme. In Schweden plant man den Bau eines SMR auf dem Gelände eines bestehenden Atomkraftwerks. In den USA wird die Atomkraft ebenfalls überparteilich als wichtige Säule der Klimastrategie betrachtet.
Fazit: Hoffnung oder Hype?
Die Entwicklung von SMR könnte den steigenden Energiebedarf der KI-Industrie decken und einen Beitrag zur Klimaneutralität leisten. Doch der Weg dahin ist mit erheblichen Herausforderungen verbunden. Technische Hürden, hohe Kosten und ungelöste Umweltfragen werfen die Frage auf, ob SMR tatsächlich die Lösung für den Energiehunger der Tech-Branche sein können.
„Die ‚eierlegende Wollmilchsau‘ gibt es auch hier nicht“, fasst Liebert zusammen. „Während superreiche Tech-Unternehmen sich solche Investitionen leisten können, bleibt abzuwarten, ob die Technologie jemals die hochgesteckten Erwartungen erfüllen wird.“ Bis dahin bleibt die Entwicklung von SMR vor allem eines: ein großes Versprechen mit ungewisser Zukunft.