Ein übermäßiger Zuckerkonsum in der frühen Kindheit kann langfristig schwerwiegende Folgen für die Gesundheit haben – das zeigt eine umfassende Analyse von Gesundheitsdaten über 60.000 Briten, die rund um das Ende der Zuckerrationierung nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden. Die Untersuchung ergab, dass weniger Zucker in den ersten zwei Lebensjahren das Risiko für Typ-2-Diabetes und Bluthochdruck signifikant senkte.
Während der Zuckerrationierung in Großbritannien konsumierten Menschen maximal 40 Gramm freien Zucker pro Tag, nahe der heutigen Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von höchstens 50 Gramm täglich. Nach dem Ende der Rationierung im Jahr 1953 verdoppelte sich der Zuckerkonsum fast schlagartig – mit gravierenden Folgen. Eine aktuelle Studie im Fachjournal „Science“ zeigt, dass jene, die in dieser Zeit weniger Zucker zu sich nahmen, langfristig ein um 35 Prozent geringeres Risiko für Typ-2-Diabetes und ein um 20 Prozent geringeres Risiko für Bluthochdruck hatten.
Frühe Einflüsse: Ein „natürliches Experiment“
Der Zeitraum nach dem Zweiten Weltkrieg bildete eine Art „natürliches Experiment“, so die Forschenden um Tadeja Gracner von der University of Southern California. Das Team analysierte die Gesundheitsdaten aus der UK-Biobank und fokussierte sich auf Menschen, die zwischen Oktober 1951 und März 1956 geboren wurden – einer Zeit, in der Zuckerkonsum entweder noch stark reguliert oder schon wieder frei verfügbar war.
Besonders aufschlussreich war der Einfluss eines geringen Zuckerkonsums in den ersten 1.000 Lebenstagen, d.h. ab der Zeugung bis zum vollendeten zweiten Lebensjahr. Die Studie zeigte, dass Menschen, die in dieser Zeit weniger Zucker zu sich nahmen, durchschnittlich vier Jahre später an Typ-2-Diabetes erkrankten. Der Effekt war am stärksten bei denen, die sowohl im Mutterleib als auch nach der Geburt in den Genuss einer reduzierten Zuckeraufnahme kamen. Die Forscher stellten fest, dass allein eine geringere Zuckerzufuhr im Mutterleib ein Drittel der Risikominderung für Typ-2-Diabetes und Bluthochdruck ausmachte.
Süßstoffe als Alternative? Keine Lösung für Kinder
Die Untersuchung beleuchtet nicht nur die Auswirkungen von Zucker, sondern zeigt auch, dass künstliche Süßstoffe keine gesunde Alternative sind. Rachel Lippert vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung wies darauf hin, dass auch Süßstoffe ähnliche negative Effekte auf die Gesundheit der Nachkommen haben könnten. „Alle Arten von Süßungsmitteln in Lebensmitteln und Getränken haben letztlich eine potenziell negative Wirkung auf das ungeborene Kind und Kleinkinder“, erklärt sie.
Schutz vor Bluthochdruck und Diabetes durch Prävention im Kindesalter
Das Risiko für Bluthochdruck war ebenfalls bei jenen Menschen reduziert, die im frühen Kindesalter weniger Zucker konsumierten: Sie entwickelten die Krankheit im Schnitt zwei Jahre später als Menschen, die nach der Zuckerrationierung geboren wurden. „Eine Reduktion um 35 oder 20 Prozent ist ein erheblicher Unterschied, da Typ-2-Diabetes und Bluthochdruck häufig vorkommen“, erklärt Stefan Kabisch von der Charité in Berlin. Auch eine Verzögerung der Krankheitsausbrüche um mehrere Jahre sei ein bemerkenswerter Effekt.
Langfristige Bedeutung: „Am Anfang des Lebens spielt die Musik“
Trotz dieser beeindruckenden Ergebnisse merkt Kabisch an, dass auch andere Faktoren wie Bewegung, psychische Belastung und Umweltbedingungen eine Rolle gespielt haben könnten, die in der Studie nicht umfassend berücksichtigt wurden. Dennoch unterstreicht die Forschung die Bedeutung einer gesunden Ernährung während der Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren. „Ernährung muss zu einem wichtigen Thema werden, gerade in der frühen Entwicklungsphase“, fordert Regina Ensenauer, Leiterin des Instituts für Kinderernährung in Karlsruhe. „Denn: Am Anfang des Lebens spielt die Musik.“ Durch gezielte Prävention in dieser frühen Phase könnten viele gesundheitliche Probleme im Alter vermieden werden.