Landgericht Stuttgart
Beschluss
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2 AR 6/20 jug.
190 AR RVA 46/15 Stuttgart
In dem Strafverfahren gegen
Hewad Gulzad, |
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Verteidiger: |
hier: Antrag gem. § 111 i Abs. 3 StPO a. F.
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hat das Landgericht Stuttgart – 2. Große Strafkammer – durch die unterzeichnenden Richter am 16. Februar 2022 beschlossen:
Es wird festgestellt, dass ein staatlicher Auffangrechtserwerb an den Forderungen des Verurteilten als Inhaber der VHG Verwaltungs e. K. aus dem Girokonto (IBAN DE85 1001 0010 0850 7511 02) bei der Deutsche Postbank nicht eingetreten ist.
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Gründe:
I.
In der Strafsache gegen Hewad Gulzad wegen Betruges wurde bereits im Ermittlungsverfahren mit Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 11.02.2015 (28 Gs 1343/15) die Beschlagnahme des für die VHG Verwaltungs e. K. geführten Girokontos bei der Deutschen Postbank mit der IBAN DE85 1001 0010 0850 7511 02 angeordnet.
Durch Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 07.10.2015 (202 Ls 134 Js 23051/15) in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 17.02.2016 (2 Ns 134 Js 23051/15) wurde Hewad Gulzad wegen gemeinschaftlichen Betruges im besonders schweren Fall in 99 Fällen sowie wegen versuchten gemeinschaftlichen Betruges im besonders schweren Fall in 116 Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe verurteilt. Das Berufungsurteil ist seit dem 17.02.2016 rechtskräftig.
Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Angeklagte Hewad Gulzad unter seiner „kaufmännischen“ Firma „VHG Verwaltungs e. K.“ ab dem 09.12.2014 an eine Vielzahl von Unternehmen Schreiben versandt hatte, in denen nach dem gut lesbaren Teil des Textes vorgetäuscht wurde, dass für eine Handelsregistereintragung im Auftrag des jeweiligen Registergerichts Gebühren zwischen 522,41 Euro bis zu 553,35 Euro für die entsprechende Eintragung im Handelsregister zu zahlen seien. Hierbei hatte er den Anschein erweckt, allein für die Einziehung der Registergebühren zuständig zu sein. Lediglich im schlecht lesbaren Kleingedruckten war mitgeteilt worden, dass es sich bei dem Schreiben nur um ein Angebot über die Aufnahme der Daten des jeweils angeschriebenen Unternehmens in den „Firmendatensatz“ der Internetseite der VHG-media handelte.
Unter Ziffer 2 des Tenors des Berufungsurteils vom 17.02.2016 ist festgestellt, dass der Angeklagte aus den Taten II./I. Nr. 1 bis 99 insgesamt 54.039,09 Euro erlangt habe und die Kammer nur deshalb nicht auf den Verfall von Wertersatz erkannt habe, weil dem die Ansprüche der Verletzten gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegenstünden. Unter Ziffer 3 des Urteilstenors ist festgestellt, dass der Angeklagte weitere 110.679,48 Euro aus rechtswidrigen Taten erlangt habe und die Kammer nur deshalb nicht auf den erweiterten Verfall von Wertersatz erkannt habe, weil dem die Ansprüche der Verletzten gemäß § 73d Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegenstünden.
Mit Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 17.02.2016 (2 Ns 134 Js 23051/15) wurde die durch das Amtsgericht Stuttgart bereits angeordnete Beschlagnahme der Forderungen des „Hewad Gulzad als Inhaber der Firma VHG Verwaltungs e. K.“ gegen die Deutsche Postbank aus dem Girokonto mit der IBAN DE85 1001 0010 0850 7511 02 gemäß §§ 73 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 263 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 StGB, §§ 111b Abs. 1, Abs. 5, 111c Abs. 3, 111e, 111i Abs. 2, Abs. 3 StPO zur Sicherung der den Verletzten aus den verfahrensgegenständlichen zivilrechtlichen Ansprüche bis zur Höhe eines Betrages von 54.039,09 Euro sowie zur Sicherung der den Verletzten aus weiteren rechtswidrigen Taten des Angeklagten erwachsenen zivilrechtlichen Ansprüche gemäß § 73d Abs. 1, 73 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 263 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 1, Abs. 7 Satz 2 StGB, §§ 111b Abs. 1, Abs. 5, 111c Abs.3, 111e, 111i Abs. 2, Abs. 3 StPO bis zur Höhe eines Betrages von weiteren 110.679,48 Euro für drei Jahre ab Rechtskraft des Urteils aufrechterhalten.
Hierüber wurden die Verletzten durch eine am 14.02.2017 erfolgte Bekanntmachung im Bundesanzeiger gemäß § 111i Abs. 4 StPO a. F. informiert.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart legte die Akten unter dem 06.10.2020 dem Landgericht Stuttgart zur Entscheidung über die Feststellung des Eintritts des staatlichen Auffangrechtserwerbs gemäß § 111i Abs. 5 Satz 1 Abs. 6 StPO a. F. vor.
Am 19.02.2019 war als gepfändeter Vermögenswert das auf dem Verwahrkonto separierte Guthaben des ehemaligen Kontos mit der o. g. IBAN in Höhe von 166.532,30 Euro vorhanden gewesen. Bei der Drittschuldnerin wurde angefragt, ob es Anschlusspfändungen durch Verletzte gegeben hat. Nachpfändungen durch Verletzte der hiesigen Taten lagen nicht vor. Der Ausschlusstatbestand im Sinne des § 111i Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StPO a. F. liegt somit nicht vor. Laut Auskunft der Drittschuldnerin vom 21.09.2020 sind aufgrund von Zulassungsbeschlüssen gemäß § 111g StPO a. F. 4.705,55 Euro an Verletzte ausbezahlt worden. Darüber hinaus liegen keine Anhaltspunkte für einen sonstigen Ausschlusstatbestand im Sinne der Ziffern 2 – 4 des § 111i Abs. 5 StPO a. F. vor.
II.
Ein staatlicher Auffangrechtserwerb an den Forderungen des Verurteilten als Inhaber der VHG Verwaltungs e. K. aus dem Girokonto (IBAN DE85 1001 0010 0850 7511 02) bei der Deutsche Postbank gemäß § 111i Abs. 5 Satz 1 StPO (in der Fassung vom 01.04.2012) ist nicht eingetreten.
Nach dieser Vorschrift kommen als Gegenstand des staatlichen Auffangrechtserwerbs nur die durch die Straftat(en) erlangten Vermögenswerte, die in dem vorausgegangenen Urteil gemäß § 111i Abs. 2 Satz 2 StPO a. F. als solche bezeichnet werden, in Betracht, bzw. ein Zahlungsanspruch in Höhe eines Geldbetrages, der dem Wert des Erlangten entspricht und im Urteil gemäß § 111i Abs. 2 Satz 3 StPO a. F. als solcher bezeichnet ist. Voraussetzung ist gemäß § 111i Abs. 3 Satz 1 StPO a. F. weiter, dass das Gericht die Beschlagnahme (§ 111c StPO) des im Sinne des § 111i Abs. 2 Satz 2 und 4 StPO a. F. Erlangten bzw. den dinglichen Arrest (§ 111d StPO a. F.) bis zur Höhe des nach § 111i Abs. 2 Satz 3 und 4 StPO a. F. festgestellten Betrages durch Beschluss für drei Jahre aufrechterhalten hat.
Die Voraussetzungen von § 111i Abs. 5 Satz 1 StPO a. F. sind vorliegend nicht erfüllt.
Hier hat das Landgericht im Tenor seines Urteils die Feststellung getroffen, dass allein wegen entgegenstehender Ansprüche von Verletzten nicht auf Wertersatzverfall bzw. erweiterten Wertersatzverfall erkannt werden könne, obgleich es in seinen Gründen festgestellt hat, dass der Verurteilte aus der Tat das Konto bzw. die Forderungen aus dem Girokonto erlangt habe, dessen Beschlagnahme durch das Amtsgericht die Kammer mit Beschluss vom 17.02.2016 aufrechterhielt.
Es fehlt damit an der erforderlichen materiell-rechtlichen Grundlage für einen staatlichen Auffangrechtserwerb. Diese schafft das Gericht durch die richtige Bezeichnung des konkret erlangten Vermögenswerts im Tenor (BT-Drucks. 16/700, Ziffer 8; vgl. BGH, Urteil vom 28.10.2010 – 4 StR 215/10 -, juris Rn. 17 m. w. N.). Hierzu gehört auch, dass die Tenorierung dem angeordneten Sicherungsmittel entsprechend erfolgt. Denn die Sicherungsmittel der Beschlagnahme (§ 111c StPO a. F.) und des dinglichen Arrests (§ 111d StPO a. F.) unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Anwendungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen und umgrenzen damit jeweils etwas Anderes als das „Erlangte“ im Sinne von § 111i Abs. 2 Satz 2 StPO a. F., an dem allein gemäß § 111i Abs. 5 StPO a. F. ein staatlicher Auffangrechtserwerb eintreten kann.
So ist die Beschlagnahme (§ 111c StPO a. F.) das zutreffende Sicherungsmittel, wenn es sich um konkrete Sachen oder Forderungen handelt, die allein und ausschließlich durch die kriminelle Handlung erlangt und unverändert noch im Vermögen des Verurteilten vorhanden sind (sog. vollständige Inkriminierung). Demgegenüber ist das Erlangte durch dinglichen Arrest (§ 111d StPO a. F.) zu sichern, wenn es durch Vermischung mit nicht kriminell erlangten Vermögenswerten nicht mehr von diesen trennbar im Vermögen des Verurteilten vorhanden ist.
Demgemäß fällt dem Staat im Falle des Auffangrechtserwerbs nach Beschlagnahme gemäß § 111c StPO a. F. die beschlagnahmte Sache bzw. die beschlagnahmte Forderung (an sich) dergestalt zu, dass er unmittelbar Eigentümer der Sache bzw. Forderungsinhaber wird (hierzu und zum Folgenden: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl., 2014, § 111i StPO Rn. 12 m.w.N.). Demgegenüber vermag der Staat im Falle der Sicherung des Erlangten durch dinglichen Arrest nach § 111d StPO a. F. (lediglich) einen – mit allen seiner Natur nach mit Unwägbarkeiten behafteten – schuldrechtlichen Zahlungsanspruch in Höhe des nach § 111i Abs. 2 StPO a.F. festgestellten Betrages zu erwerben.
Dabei tritt der staatliche Auffangrechtserwerb allein auf der durch den Tenor geschaffenen materiell-rechtlichen Grundlage ohne weitere Zwischenschritte durch bloßen Zeitablauf drei Jahre nach Rechtskraft kraft Gesetzes ein (§ 111i Abs. 5 Satz 1 StPO i.V.m. § 111i Abs. 3 Satz 2 StPO a. F.). Dem entsprechend ist der von dem Gericht nach § 111i Abs. 5 Satz 1 StPO a. F. zu treffende Beschluss lediglich deklaratorischer Natur. Dies aber hat zur Folge, dass das Gericht den zu erwerbende Vermögenswert in dem Tenor als der für den gesetzlichen Vermögenserwerb geschaffenen Rechtsgrundlage gemäß § 111i Abs. 2 Satz 2 StPO a. F. zutreffend bezeichnen muss (siehe hierzu: BGH, Urteil vom 28.10.2010 – 4 StR 215/10 -, juris Rn. 9 ff. m.w.N.).
Dies indes ist vorliegend nicht der Fall. Die Kammer hat im Tenor ihres Urteils das durch die Tat Erlangte (§111i Abs. 2 Satz 2 StPO a. F.) unzutreffend bezeichnet.
Denn den Urteilsfeststellungen des Landgerichts zufolge waren durch die Straftaten ausschließlich Forderungen des Verurteilten gegen die Postbank erlangt, die mit rechtmäßigen Forderungen nicht vermischt waren (sog. vollständige Inkriminierung); diese wurden – hierzu passend – als Ganzes durch Beschlagnahme nach § 111c StPO a. F. gesichert. Zugleich – und im Widerspruch hierzu – stellte das Gericht indes im Tenor des Urteils fest, dass auf den Verfall von Wertersatz bzw. auf erweiterten Verfall von Wertersatz nicht erkannt werden könne, da Ansprüche der Verletzten entgegenstünden. Zudem wurde das Erlangte im Tenor beziffert. Durch diese Tenorierung im Urteil hat das Gericht zum Ausdruck gebracht, dass das ursprünglich Erlangte nicht mehr vorhanden sei, und dass das Erlangte infolge einer Vermischung mit nicht kriminell erlangtem Vermögen in einem Wertersatzanspruch als Zahlungsanspruch bestehe. Dieser hätte jedoch nicht – wie die Forderungen aus dem Girokonto – durch Beschlagnahme vorläufig gesichert werden können, sondern nur durch Anordnung und Aufrechterhaltung eines dinglichen Arrests nach § 111d StPO a. F. über das auf dem Postbankkonto befindliche Vermögen.
Da der Verurteilte aber nach den Feststellungen des Urteils und des aufrechterhaltenen Sicherungsmittels durch die Tat – wie ausgeführt – ausschließlich vollständig inkriminierte Forderungen aus dem Girokonto erlangt hat, hätten also diese im Tenor anstatt des bezifferten Wertersatzanspruches bezeichnet werden müssen.
Der Tenor des Urteils des Landgerichts ist auch keiner Auslegung oder Berichtigung zugänglich. Da der Auffangrechtserwerb kraft Gesetzes eintritt und dem Beschluss, der den Auffangrechtserwerb feststellt, ausschließlich deklaratorische Wirkung zukommt, ist das Erlangte im Tenor unmissverständlich zu bezeichnen, damit der Auffangrechtserwerb eintreten kann.
Rieberg
Vorsitzende Richterin |
Weber
Richterin |
Scholz
Richter |
Beglaubigt
Stuttgart, 23.02.2022
Holder
Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Durch maschinelle Bearbeitung beglaubigt
– ohne Unterschrift gültig
Hinweis:
Jedem Anspruchsinhaber steht gegen den Beschluss das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu. Die sofortige Beschwerde ist binnen einer Woche nach Bekanntmachung der Entscheidung beim Landgericht Stuttgart einzulegen. Die Bekanntmachung ist einen Monat nach Veröffentlichung der Entscheidung im Bundesanzeiger erfolgt. Die sofortige Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen; auf § 32d StPO (Pflicht zur elektronischen Übermittlung für Verteidiger und Rechtsanwälte) wird hingewiesen.