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Dinge zu Hause aussortieren, kann Geld bringen und ist seitens der Wirtschaft erwünscht

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Beim Ausmisten vor dem Wohnsitzwechsel kommen für Secondhandboutiques mit Jeanshemden, Blusen, gestreiften T-Shirts, Schuhen einiges zusammen. Nach einigen Wochen sind diese verkauft, Bargeld lacht. Louis-Vuitton-Taschen können – unabhängig vom Alter – auf Verkaufsplattformen für Designerteile im Internet mehr als 1000 Euro bringen. „Der letzte Rest vom Schützenfest“ mit Textilien von Zara und H&M kann bei Ankaufdiensten im Internet auch noch einige hundert Euro bringen.

Statt dieser Altkleidung und weiterer Elemente aus dem bisherigen Hausstand kann Geld für den Start in ein verändertes Leben gefunden werden. Mehr Natur und Freizeitmöglichkeiten können den Anspruch an die Garderobe orientieren. Bildbände aus dem Regal können neue Freunde finden und ein reinigendes Gefühl bewirken, nachdem viel von dem, was einst Besitz war, weg ist. Das Gefühl muss nicht bei vergleichbaren Verkaufsaktionen bekannt werden.

Zeitgenossen, die mit Verzicht „Null Besitz“ zur neuen Tugend erklären und mit dem Nötigsten in einer fast leeren Wohnung leben, werden häufig gefunden. Entrümpelungsaktionen sorgen für Nachschub. „Kaufen und weggeben“, sagen Akteure zu dem  Rhythmus: Vereinnahmen und wieder Umsetzen. Eine Gruppe von Menschen kauft nicht nur, sondern setzt ihren Besitz durch Verkauf wieder um. Das zeigen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes:

Konsumausgaben sollen pro Jahr stetig zulegen; die Stimmung ist bestens. Lebenshaltungskosten steigen; 2016 zogen die Verbraucherpreise um 0,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr an. Die privaten Konsumausgaben pro Einwohner betrugen im vergangenen Jahr > 20.000 Euro. Das entspricht einer Steigerung  340 Euro und damit 1,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Wenn Menschen von Gütern, die sie vor kurzem gekauft haben, genug haben, ist das am Aussortierten zu erkennen, das sich beim Sperrmüll vor den Eingängen türmt.

Das Rote Kreuz und der Malteser Hilfsdienst beklagen sich nicht über die Spendenbereitschaft: Die Boxen sind voll, obwohl alter Krempel zusätzlich vor die Tür gestellt wird. Alternativ wird versucht, ihn im Internet zu Geld zu machen. Viele Dienste, die helfen, haben sich etabliert. Ebay, der Flohmarkt des Internets, wird von Händlern begleitet, die nur Designerware annehmen – wie Rebelle oder Vestiaire. Elektronisches und Computerspiele „vertickt“ Rebuy. In den USA drängt thredUP für Bekleidung aller Art auf den deutschen Markt (vgl. Wiebking, Jennifer).

Unerwünschter Besitz von Menschen aus Deutschland landet oft in einer Halle in Neuenhagen, einer Gemeinde mit 18.000 Einwohnern in Brandenburg, die der Ankaufdienst Momox unterhält. Von dort lässt sich das Stadtzentrum von Berlin mit der S-Bahn in zwanzig Minuten erreichen. Einige der Menschen, die Neues wollen, werden dorthin eingeschickt. Wer etwas verkaufen will, wählt bei Momox die Kategorie aus (Bluse, Rock, Hose usw.), tippt die Marke ein und bekommt – ohne Ansicht – einen Preis genannt. Kleider von Zara bringen 4,14 Euro, eine Bluse von Escada 12,29 Euro. Esprit soll bei Damen  beliebt sein, Tommy Hilfiger bei den Herren.

Momox hat seit seiner Gründung vor dreizehn Jahren über 125 Millionen Artikel gehandelt, von Privatpersonen angekauft und auf den dazugehörigen Online-Plattformen Ubup und Medimops weiterverkauft. Mit Büchern und CDs ging es los; 2014 kam Bekleidung hinzu. Beim Rundgang durch die Halle – es riecht wie im Selbstbedienungslager von Ikea – vorbei an den Stationen, wo die getragenen Kleider ankommen, wird das Bücherlager erreicht. Bücher machen sechzig Prozent des Umsatzes aus, CDs zehn Prozent, Mode zwanzig. Dies ist die am stärksten wachsende Kategorie. Viele Menschen haben Bücher zu Hause, für die kein Platz mehr ist, die in Kisten im Keller lagern.

Andere möchten sich gern Modeartikel kaufen, obwohl der Kleiderschrank voll ist. Teile dessen Inhalts landen in diesem Bereich der Halle. Die Sachen werden geprüft, der Geldbetrag an den ursprünglichen Besitzer überwiesen. Dann beginnt für die Teile ein zweites Leben. Sie werden auf Puppen gezogen, fotografiert, bekommen ein Etikett, werden in Plastikfolie verpackt und gehen oft zwei Tage nach Ankunft über Ubup in den Verkauf. Das meiste sieht zu diesem Zeitpunkt aus wie nie getragen.

Das könnte wahr sein; die Wahrscheinlichkeit, dass es das ist, kann groß sein. Eine Greenpeace-Studie von 2015 belegt, dass Deutsche – ohne Strümpfe und Unterwäsche – 5,2 Milliarden Kleidungsstücke besitzen. Vierzig Prozent davon sollen selten bis nie getragen worden sein. Da die Konsumausgaben steigen, werden 2017 beide Werte nicht geringer sein. Deutsche haben ein paradoxes Verhältnis zum Besitz. Sie wollen vieles erlangen, können es aber nur bedingt gebrauchen. Konzepte der Sharing Economy zeigen, wie sie vermarktet werden.

Das Phänomen ist symptomatisch für den Hyperkonsum, der in den siebziger Jahren aufkam. Luxus war damals befriedigt: Wohnung, Auto und eine Urlaubsreise im Jahr. Unser Wirtschaftssystem bekommt ein Problem, wenn Bedürfnisse befriedigt sind. Dieses lässt sich durch Ankurbeln des privaten Konsums eingrenzen. Diese Entwicklung wird nicht an Bedürfnissen orientiert, sondern erzeugt, um sie dann zu befriedigen. Diese Entwicklung ist ungebrochen (vgl. Wiebking, ebd.).

Wachsende Einkaufsmöglichkeiten im Internet befeuern diese. Die Innenstädte brauchen nicht mehr besucht werden. Über’s Netz soll alles zu haben sein. Den schönen Dingen kann sich verweigert werden, wenn Geld das Sparen in Zeiten der Negativzinsen obsolet macht. Wer im Online-Store auf ein Produkt geklickt hat, ohne es zu kaufen, kann damit rechnen, dass Tage und Wochen vergehen, ohne dass Käufe getätigt werden. Dadurch wird der Kunde selbst zum Zwischenlager.

An manchen materiellen Dingen halten Deutsche fest; doch sie sind die Ausnahme, nicht die Regel. Sie definieren sich weniger über Besitz. Weder das Auto, noch die Brockhaus-Enzyklopädie im Regal wird zur gesellschaftlichen Anerkennung gebraucht. An diese Stelle ist das iPhone mit einem von Apple eingebauten Verfallsdatum getreten. Alle paar Jahre steht ein neues Programm an. Viele Leute wollen adäquat gekleidet sein. Dazu braucht es keinen Kleiderschrank, denn: Öfter mal was Neues! Statt um Besitz geht es um den Konsumakt; ein Kleidungsstück ist begehrenswert, bis es im Besitz ist. Das Weggeben mit dem Ziel neuer Anschaffungen wird fetischisiert. Wenn schon die Kleidungsstücke nicht grau sind, so ist es die Szene.

Was Besitz bedeutet, lässt sich belegen: „Wenn dein Haus brennt, was würdest du mitnehmen?“ Bei Null anfangen ist heute reizvoller, wie die Chance auf ein zweites Leben! Menschen können weder nach Bränden noch nach Entrümpelungsaktionen dauerhaft mit wenigem leben. Bei der Monetisierung von altem Zeug kommen keine Spendenorganisationen zu kurz. Die Spendenbereitschaft ist konstant und nach wie vor da, wie das DRK und Malteser melden. Kleiderboxen, die nicht einer wohltätigen Organisation gehören, werden ohne Genehmigung der Behörde und des Grundstückeigentümers aufgestellt, unkontrolliert geleert, ohne dass Gebühren an die Kommunen gehen. Der Weltmarktpreis für Altkleider liegt bei 330 Euro pro Tonne. 25 Prozent des Volumens werden von Illegalen abgeschöpft. Wohltätigen Organisationen fehlt es dann.

Die moderne Kleidersammlung geht auf die Hilfsaktion für die Opfer der Sturmflut 1962 in Hamburg zurück. Straßensammlungen waren bis in die achtziger Jahre in. Container am Straßenrand lohnten damals nicht. Flohmärkte waren die einzig bekannten Organisationen. Die Initiative von H&M, für alte Kleider einen Einkaufsgutschein zu erhalten, macht einen geringen Prozentsatz vom Gesamtvolumen aus. Die Zeiten schaffen reichlich Kleidung, die übrig ist.

Mit seinem Besitz nur auf Zeit zu leben: Dieser Trend erzählt vor diesem Hintergrund also ebenso viel von persönlicher Optimierung und Maximierung der Möglichkeiten wie von Überhöhung und ewiger Sinnsuche in neuem Materiellem.

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