Start Verbraucherschutz Gedanken zur Zinsentscheidung der EZB vom 20. Juli

Gedanken zur Zinsentscheidung der EZB vom 20. Juli

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Die Verkündung der EZB wird als „enttäuschende Nullnummer“ ausgewiesen, auch deshalb, weil deren Präsident Draghi keinen Hinweis gegeben hat, wann höhere Zinssätze zu erwarten sein werden. Das erzürnt die Sparer und begeistert qualifizierte Anleger – kurzfristig.

Der über Jahre ebenso qualifiziert Lesende reibt sich die Augen und fragt sich:

Über Jahrzehnte haben sich Bürger darüber aufgeregt, dass die Inflation das Vermögen vernichtet und nicht in ausreichendem Umfang ausgeglichen wird. Die Inflationsrate lag unter dem durchschnittlichen Sparzins, aber auf den waren noch Steuern zu zahlen – sofern sie abgeführt wurden. Der Staat wurde wegen fehlerhaften wirtschaftlichen Verhaltens beschimpft, die Münze einer „Deutschen Mark“ wie eine Torte dargestellt, aus der ein großes Stück Kuchen, meist 1/3, entnommen worden war.

Heute ist es anders: Geringe Inflation, weniger Sparzinsen, aber so gut wie keine Steuern. Dabei fragt sich der arglos Lesende, welche Sparer ihre Zinserträge bei ihrer Einkommensteuererklärung angeben. Das wollen wir nicht vertiefen. Heute hätte der Sparer Alternativen. Im europäischen Ausland fühlt sich ein solcher als Anleger und glaubt nicht an die allgegenwärtige Garantie des Staates für Gespartes. Nur mit dieser verbalen, durch nichts gedeckten Garantie von Kanzlerin Merkel konnte 2009 in Deutschland eine Finanzkatastrophe vermieden werden.

Heute war am Anfang der dritten Juliwoche die Hoffnung groß. Sparer hatten erwartet, dass die EZB die Zinsen erhöht oder durch Draghi zumindest Andeutungen über einen Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik machen würde. So waren doch die Wachstumsrisiken für den Euro-Raum als ausgeglichen dargestellt worden, eine Formsache, dass nun die Zinssätze zu erhöhen waren!

Draghi meint jedoch, dass erst im Herbst über die Zukunft gesprochen werden kann. Damit steigen die Zinssätze auch dann nicht automatisch an.

Für Investoren hatte die EZB eine Botschaft: Die Inflation ist nicht da, wo sie sein sollte. Draghi bekräftigte, dass sich die Preissteigerungen in der Zukunft dem vom Institut gewünschten Ziel von zwei Prozent pro Jahr nähern werden. Diese Information wurde mit dem Hinweis ergänzt, dass der Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Inflation seit der Finanzkrise vor etwa zehn Jahren mit Zeitverzögerung erfolge. Dieser Automatismus wird nicht in Zweifel gesetzt.

Anleger haben noch mit Interesse vermerkt, dass die monatlichen Wertpapier-Ankäufe der EZB uneingeschränkt weitergeführt werden – mindestens bis zum Ende des Kalenderjahres. Geduld und Beständigkeit sind Voraussetzungen für erfolgreiche Geldpolitik und Stabilität der Währung. Hier zeigt sich der Gegensatz der Interessen von (deutschen) Sparern und Anlegern. Der Aktienmarkt legte als Reaktion zu. Die Ökonomen warten weiter auf ein Signal der Zinsänderung.

Als Gläubiger von schwachen europäischen Staaten wird die EZB abhängiger – auch wenn sich deren wirtschaftliche Entwicklung bei einer Inflationsrate von 1,3 Prozent positiv darstellt.

Während es in Südeuropa viele Arbeitslose gibt, herrscht in Deutschlands oft Vollbeschäftigung. Die Rechnung der Zentralbanker geht nicht auf: Die Löhne steigen langsam. Der Preisdruck für Verbrauchergüter ist schwach. Die Preise müssten schneller steigen als mit der Rate, die Statistiker ausrechnen: Wenig mehr als ein Prozent (ohne die schwankenden Energiepreise).

Die Inflation in vernetzten Volkswirtschaften wird davon bestimmt, wie die Weltwirtschaft ausgelastet ist. Wenn die globale Konjunktur anzieht, steigen die Löhne kräftiger. Gibt es global eine Flaute, schwächelt das nationale Lohnwachstum. In dieser Situation könnte Europa stecken. In Wirtschaftsregionen Asiens wie China hat sich die Konjunktur abgekühlt. Dort haben einige Industrien Überkapazitäten, mit denen sie den Weltmarkt überschütten, was die Inflation dämpft.

Diese Globalisierung der Inflation hat Konsequenzen für die Geldpolitik. Es könnte sein, dass die expansive Geldpolitik der EZB und anderer Notenbanken mit dem Ziel der Inflationsanhebung nicht mehr wirkt, wenn Wettbewerb oder Überkapazitäten die Preise drücken. Dann erscheint das Selbstlob vieler Notenbanker für die moderate Inflation seit den achtziger Jahren weniger begründet. Das ginge auf das Konto der Globalisierung mit billigen Importprodukten.

Die Geldpolitik kann in die Irre gehen, weil sie mit einem falschen Maßstab misst. Vor der letzten Finanzkrise blickten die westlichen Notenbanken über das Kreditwachstum hinweg, weil die Inflationsraten im niedrigen Bereich lagen. Eine Finanzblase war mit billigem Geld aufgepumpt worden. Das könnte wieder so kommen.

In den USA ist die US-Notenbank bei der Normalisierung der Geldpolitik um vier Jahre voraus. Dort ist die Wirtschaft robust und die Inflation nach wie vor niedrig.

Die beiden großen Banken für die Steuerung der Geldpolitik wissen, dass kleine Änderungen große Wirkung entfalten können – auch negative! Langfristige Pläne zum Ausstieg könnten die Unsicherheit reduzieren und Marktschwankungen verhindern. Für den bevorzugt deutschen Sparer hätte das zunächst keine Auswirkungen. Er nimmt die voraussichtlich weiter niedrigen Zinssätze frustriert zur Kenntnis. Dem steht der EZB-Rat gegenüber, der den Aufschwung in der Eurozone nicht gefährden will.

Privatanleger könnten die günstige Gelegenheit nutzen und mit relativ geringem Risiko in den Aktienmarkt über Indices wie ETF einsteigen. Damit haben sie keine Gewinngarantie aber mittelfristig bessere Perspektiven als mit dem Sparbuch.

Mit Signalen von Draghi ist das so eine Sache: Ende Juni hat er sich positiv zu Inflation und wirtschaftlicher Entwicklung geäußert. Dabei wurde er wohl nicht richtig verstanden. Die Führung der EZB stellt die Entwicklung unterschiedlich dar, behauptet jedoch, dass sie einer Meinung sei. Anfang 2018 könnten die ersten Schritte für eine Normalisierung beginnen. Die Wünsche der Sparer könnten Anfang 2019 in Erfüllung gehen. Was wird dann normal sein?

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